Berlin, 1940: Die 18-jährige deutsche Jüdin Stella träumt von einem Leben als gefeierte Sängerin am Broadway. Zusammen mit den Mitgliedern ihrer Swing-Band hofft sie auf eine baldige Ausreise in die USA. Drei Jahre später ist von diesem Traum nichts geblieben: Wie viele jüdische Menschen im NS-Staat leisten Stella und ihre Eltern Zwangsarbeit und fürchten die täglichen Verhaftungen und Deportationen. Bald bleibt nur die Flucht in den Untergrund. Da Stella als blonde, blauäugige Frau kaum kontrolliert wird, findet sie Formen der Rebellion und sogar des Widerstands – etwa Ausflüge ins Nachtleben ohne angehefteten "Gelben Stern", romantische Treffen mit einem SS-Mann und die Arbeit als Passfälscherin gemeinsam mit dem ebenfalls untergetauchten Rolf Isaaksohn, in den sie sich verliebt. Der Verrat einer Bekannten führt schließlich zu Verhaftung und Folter. Aus Angst vor der Deportation beginnt Stella als "Greiferin" zu arbeiten: Zusammen mit Rolf spürt sie für die Gestapo Jüdinnen und Juden auf.
Die Geschichte der jüdischen Denunziantin Stella Goldschlag wurde schon mehrfach filmisch aufgegriffen, unter anderem in den
Doku-Dramen
Ich bin! Margot Friedländer (Raymond Ley, DE 2023) und
Die Unsichtbaren – Wir wollen leben (Claus Räfle, DE 2017). Die Angaben über die Anzahl der Menschen, die Goldschlag von 1943 bis zum Ende des Krieges der Gestapo auslieferte, variieren zwischen 600 bis 3.000 Personen.
Regisseur Kiran Riedhof nutzt die Mittel der Fiktionalisierung, um sich den Beweggründen ihrer Taten zu nähern.
Stella. Ein Leben fokussiert besonders auf die Zeit vor Goldschlags Tätigkeit als "Greiferin": In durch
Schwarzblenden getrennten
Szenen reihen sich Ausschnitte aus Stellas Leben stakkatoartig aneinander; eine
dynamische Kameraführung, schnelle
Schnitte sowie ein treibender
Score vermitteln die ständige Unruhe der jungen, lebenslustigen Frau. Dieser
dramaturgische Schwerpunkt auf ihren Überlebenskampf macht es dabei zunächst leicht, Stella als reines Opfer des Systems zu sehen. Zerrissen zwischen Todesangst, Sorge um die Familie, der Sehnsucht nach Freiheit und der kriminellen Energie ihres Geliebten Rolf zeichnet der Film für Stella kaum eine andere Möglichkeit als die der Kollaboration.
Wie sich Stellas innerer Wandel hin zu einer skrupellosen Verräterin und späteren überzeugten Antisemitin vollzieht, deutet der Film nur vage an. Visuell weisen
farbverfremdete Schlüsselszenen auf wesentliche Momente hin: ein bedrohliches Rot beim Entschluss, Untergetauchte aufzuspüren, tiefes Blau als Zeichen des Zweifels beim Wiedersehen eines Bandmitgliedes oder grelles Weiß auf dem Höhepunkt ihres zweifelhaften Erfolgs als "Greiferin". Der Film erfordert, genau zu reflektieren, ohne einfache Schuldzuweisungen zu finden oder historische Sonderfälle von jüdischer Mittäterschaft zu verallgemeinern und auf antisemitische Stereotype zurückzugreifen: Ist Stella Täterin oder Opfer? Während Rolf und schließlich auch Stella mit kaltem Engagement Mitbürger/-innen verhaften, scheint ihr Gestapo-Auftraggeber, der ihr Avancen macht, ebenfalls unter der NS-Politik und seinem Wissen um den Holocaust zu leiden. Die moralischen Ambivalenzen ordnen sich erst durch einen Zeitsprung. Als Stella 1957 in Berlin wegen Beihilfe zum Mord angeklagt und mit den Erlebnissen ihrer Opfer konfrontiert wird, wähnt sie sich als Ziel einer jüdischen Verschwörung. Ihre wahnhaften antisemitischen Ansichten verdeutlicht visuell eine extreme Weitwinkelaufnahme, die ihr Gesicht fratzenhaft verzerrt. Auch wenn Stella für ihre Taten nicht zu einer Haftstrafe verurteilt wird, deutet der Film an, dass sie bis an ihr (selbstgewähltes) Lebensende eine Gefangene bleibt: Allein in ihrer Wohnung, ohne Kontakt zu ihrer Tochter und – nicht willens ihre Schuld einzugestehen – gesellschaftlich isoliert.
Autor/in: Sarah Hoffmann, 22.01.2024
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