Eigentlich wollte Sean Zigaretten schmuggeln, doch dann wird ihm in einem belgischen Hafen eine ganz andere "Ware" angeboten: 20 Chinesen – Frauen, Männer und ein Kind – die der junge Maat auf seinem Kutter
Providence nach Schottland bringen soll. Dass Sean sich dazu entschließt, gegen eine hohe Summe illegale Einwanderer/innen ins Land zu schmuggeln, ist eine Verzweiflungstat: Vom Fischfang können er und sein Vater, der Kapitän, nicht mehr leben, das Boot steht kurz vor der Pfändung. Heimlich bringt er die Flüchtlinge an Bord und sperrt sie im vorderen Frachtraum ein, nur die zwölfjährige Su Li verbirgt sich unbemerkt im Maschinenraum. Ohne Licht und frische Luft, versorgt mit einem Plastikeimer für ihre Notdurft, treten sie ihre Reise in ein vermeintlich besseres Leben an. Seans Vater und der Schiffskoch wissen nichts von den Passagieren, lediglich Bootsmann Riley ist eingeweiht, der im Menschenschmuggel zunächst eine lukrative Einnahmequelle wittert.
Alles läuft nach Plan, bis Sean den Kurs ändert in der Hoffnung, auf hoher See einen guten Fang machen zu können. Denn er befürchtet, die schottische Hafenbehörde werde angesichts leerer Lagerräume sofort Verdacht schöpfen. Doch je länger die
Providence unterwegs ist, desto unerträglicher werden die Bedingungen unter Deck, wächst die Spannung innerhalb der Crew. Als ein Chinese stirbt und der alte Skipper mit den Flüchtlingen konfrontiert wird, begeht er eine furchtbare Tat, um das Boot und die Zukunft seines Sohnes zu retten.
In seinem Spielfilmdebüt hat der englische Regisseur Steve Hudson das Thema Menschenschmuggel als ethisches Kammerspiel inszeniert. Immer wieder umkreist die Kamera den Kutter, setzt die Enge des Boots in Kontrast zur weiten See und verdeutlicht so auch optisch die Ausweglosigkeit der Situation. Im Gegensatz zu einem Film wie
In This World (Großbritannien 2002) von Michael Winterbottom konzentriert sich Hudson nicht auf das Einzelschicksal von Flüchtlingen. Abgesehen von Su, die am Ende die Überfahrt überleben wird, erscheinen die Chinesen als namenlose Gruppe. Das realistisch erzählte Drama konzentriert sich auf die Konflikte innerhalb der Crew und vermeidet vereinfachende Opfer- und Täter-Polarisierungen. Nicht reine Profitgier treibt Sean und Riley an, sondern existenzielle Nöte führen zu einer fatalen Entscheidung, deren Konsequenzen sie zunächst nicht überblicken können. Im Laufe der Fahrt müssen beide erkennen, dass sie für das Wohlergehen der Menschen unter Deck verantwortlich sind. Während der Film für eine politische Diskussion des Themas Menschenhandels nur bedingt geeignet ist, kann er vor allem im Philosophie- und Ethik-Unterricht als Grundlage dienen, um Fragen nach Verantwortlichkeit, Moral und Schuld zu diskutieren. Der Filmtitel "True North" ist ein Begriff aus der Seefahrt und bezieht sich darauf, dass der "magnetische" Pol im Norden nicht zwangsläufig mit dem geografischen Nordpol übereinstimmt und verweist so auf den eigenen moralischen Kompass: Welcher Weg ist der richtige?
Autor/in: Kirsten Taylor, 21.05.2008
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.