"Es war die beste Zeit unseres Lebens." Mit diesem Satz beschreibt Ludwig Bruhns in der Serie Zum Filmarchiv: "Deutsches Haus" die Jahre, in denen er mit seiner Frau Edith und den beiden Töchtern Annegret und Eva im Konzentrationslager Auschwitz gelebt und gearbeitet hat. Er war damals Koch für das KZ-Personal gewesen, und ist der Meinung, er habe sich persönlich nichts zu Schulden kommen lassen. Trotzdem haben Ludwig und Edith, während sie sich in der jungen Bundesrepublik mit der Gaststätte Deutsches Haus eine neue Existenz aufgebaut haben, von der Zeit in Auschwitz immer geschwiegen. Erst als Eva begreift, warum ihre Kindheit von einer merkwürdigen Erinnerungslücke bestimmt ist, müssen sich die Eltern rechtfertigen. Und nun sagt Ludwig diesen auf den ersten Blick ungeheuerlichen Satz: "Es war die beste Zeit unseres Lebens." Er meint damit: Für ein junges Paar, das zuvor keine Gelegenheit auf ein gemeinsames Leben gehabt hatte, boten sich im Nationalsozialismus eben auch Chancen. Dass jedoch unweit der Küche, in der Ludwig für die Lagerverwaltung kochte, die Gaskammern jahrelang auf Hochbetrieb liefen, hat er über die Jahre völlig verdrängt.

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Verschiedene Formen und Dimensionen von Schuld

"Du hast Offiziere gemästet", hält Eva ihrem Vater später entrüstet entgegen. Sie ist die zentrale Figur in "Deutsches Haus" – eine junge Deutsche, die Polnisch gelernt hat, und nun beim 1963 beginnenden Frankfurter Auschwitz-Prozess als Dolmetscherin arbeitet. Die erste Nachkriegsgeneration wird nun mit den davor überwiegend beschwiegenen NS-Verbrechen konfrontiert. Annette Hess, Zum Inhalt: Drehbuchautorin und Showrunnerin der Serie, verknüpft mit ihr und anderen Figuren geschickt verschiedene Erkenntnisprozesse. Sie haben mit unterschiedlichen Formen und Dimensionen von Schuld zu tun, die juristische, vor allem aber auch moralische und individuell-psychologische Fragestellungen berühren.

Dem Zum Inhalt: Genre des Gerichtsfilms entsprechend steht zunächst die Schuld im strafrechtlichen Sinne im Mittelpunkt der Serie: Auf der Anklagebank sitzen Männer, die in Auschwitz in führenden Positionen tätig waren. Sie alle berufen sich auf den – faktisch nicht existenten – "Befehlsnotstand". Schuld hätten demnach nur Adolf Hitler und SS-Chef Heinrich Himmler gehabt, die Männer, von denen die Befehle kamen – zum millionenfachen Mord an in erster Linie jüdischen Menschen. Allerdings haben die dem nationalsozialistischen Regime untergebenen und auf Hitler vereidigten Männer die Befehle von der Spitze auf ihre Weise "interpretiert". Himmler befahl niemals konkret, in Auschwitz Inhaftierte mit einem eigens gebauten Foltergerät zu traktieren, das "Sprechmaschine" oder "Bogerschaukel" genannt wurde. Das muss sich der ehemalige, des vielfachen Mordes angeklagte Beamte der KZ-Gestapo Wilhelm Boger vorwerfen lassen.

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Der Bürokrat als Mörder

Seine Tochter Diana macht in "Deutsches Haus" Erfahrungen, die denen von Eva Bruhns ähneln. Ihr Vater ist allerdings ein Haupttäter, wie auch der Hauptangeklagte Robert Mulka, dem im Prozess nachgewiesen wird, dass er unter zahlreiche Lieferungen des Gaskammergifts Zyklon B seine Unterschrift gesetzt hatte – man könnte hier von einer bürokratischen Schuld sprechen. Der bekannteste Schreibtischtäter im Nationalsozialismus war Adolf Eichmann, für den Hannah Arendt den Begriff "Banalität des Bösen" prägte. Mulka steht für diesen Schuld-Typus einer professionell arbeitenden Verwaltung des Tötens.

Die Schuld der Mitläufer

Bei der Familie Bruhns hingegen geht es um ein schuldhaftes Verhalten, für das später der Begriff Mitläufer geprägt wurde. Es waren Menschen, die das Regime unterstützten, indem sie sich so verhielten, als gäbe es darin einen normalen Alltag. Die mitunter auch andere Menschen anzeigten, die kleine Gesten des Widerstands setzten (eine kritische Bemerkung konnte schon reichen). Annette Hess macht deutlich, dass die Eltern Bruhns ihre Rolle im Nationalsozialismus nicht in Ansätzen kritisch reflektieren. Drastischer könnte man diese vielleicht sogar, mit einem jüngeren Begriff der juristischen Aufarbeitung, als "funktionelle Beihilfe zum Mord" bezeichnen. In den zeitgenössischen Debatten der Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik Deutschland allerdings ging es vorrangig um das Konzept einer Kollektivschuld. Konnte sich ein ganzes Staatsvolk schuldig gemacht haben gegen die, die der Unrechtsstaat verfolgte?

Ererbte Schuld

"Deutsches Haus" geht es vor allem darum, diese Kollektivschuld in viele Nuancen individuellen Verhaltens auszudifferenzieren. So lädt zum Beispiel Jürgen Schoormann, der reiche Erbe eines Versandhandelsunternehmens und Verlobte von Eva Bruhns, eine Schuld auf sich, die kaum in einem Zusammenhang mit den Verbrechen in Polen steht: Er entdeckt, als er einen schwer verletzten, abgestürzten amerikanischen Piloten im Wald tötet, eine unterdrückte sadistische Neigung, die auch noch auf eine komplexe Weise seine sexuelle Identität (und damit sein Verhalten Eva gegenüber) bestimmt. Ein anderes Beispiel wäre Evas Schwester Annegret, die als Krankenschwester auf einer Babystation auf psychologisch schwer durchdringliche Weise mit dem Leben spielt, um sich doch noch als Retterin zu fühlen.

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Annette Hess stellt diese unterschiedlichen Formen von Schuld in ein Generationenverhältnis, aus dem wiederum eine weitere Form von Schuld erwächst. Die erste Generation von Erwachsenen nach dem Krieg versuchte, die Verbrechen des Nationalsozialismus so gut wie möglich zu vergessen. Eva wird über ihre Kindheit im Ungewissen belassen, de facto wird sie belogen. Annette Hess macht sie zu einer stellvertretenden Figur für eine Dynamik, die schließlich in der Generation der 68er ihren Höhepunkt erreichte: die konfliktreiche Konfrontation mit der Elterngeneration und deren Verdrängung.

Das Trauma der Überlebenden

Abschließend ist es unumgänglich, auch noch die Schuld der vielleicht kompliziertesten Figur in "Deutsches Haus" anzusprechen: David Miller, einer der Ankläger im Auschwitz-Prozess. Er legt mehrfach ein rätselhaftes Verhalten an den Tag, fällt im Gerichtssaal (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) aus der Rolle und sucht bei einer Prostituierten eine Nähe, die diese anfangs nicht geben kann. David leidet, wie Eva herausfindet, ohne dass sie dieses Wort schon kennen würde, an Überlebensschuld. Mit seiner jüdischen Familie konnte er als Kind vor den Nationalsozialisten nach Kanada fliehen, von dort kehrte er nach dem Krieg nach (West-)Deutschland zurück, um im Team von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zu arbeiten.

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David, der laut Annette Hess von einer realen, allerdings nicht am Prozess beteiligten Person inspiriert ist, kommt nicht darüber hinweg, dass er mit seiner Familie eine Ausnahme zu dem millionenfachen Todesschicksal in der Shoah bildet. Er rechnet sich diese Ausnahme als individuelle Schuld an und reagiert darauf neurotisch. Das Trauma der Vernichtung betrifft also auch diejenigen, die ihr entgingen, und zwar so stark, dass manche durch dieses Schuldgefühl beinahe lebensunfähig wurden. Die Psychoanalyse fand heraus, dass Schuldgefühle auch entstehen können, wo keine persönliche Schuld, kein moralisches Fehlverhalten vorliegt. Annette Hess nimmt diesen Befund ernst.

Er betrifft schließlich auch die schon aufgrund ihres Alters "unschuldige" Hauptfigur Eva, die in der letzten Folge einen naiven Versuch unternimmt, für ihre Eltern (und im Grunde stellvertretend für das ganze deutsche Volk, das nicht Widerstand geleistet hat) eine Entschuldigung zu finden. Von einem Überlebenden in Polen holt Eva sich eine Abfuhr mit ihrer Hoffnung auf Trost und einen symbolischen Freispruch. Sie muss in der Verantwortung mit der deutschen Schuld ihren Weg finden.

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