Die besten Geschichten schreibt das Leben selbst: Im Jahre 1993 zahlte das 30 Milliarden Dollar schwere Unternehmen "Pacific Gas and Electric Company" in einem außergerichtlichen Vergleich 333 Millionen Dollar an Leukämieopfer und ihre Hinterbliebenen, weil der Konzern durch die hochgiftige Chemikalie Chromium das Grundwasser verseucht hatte. Steven Soderbergh verfilmte diesen authentischen Fall als Populärkino. Seine Protagonistin Erin Brockovich hat es nicht leicht. Drei Kinder aus zwei geschiedenen Ehen müssen ohne Unterhaltszahlungen ernährt werden. Bei der Jobsuche stößt sie auf Granit. Wer stellt eine gestresste Mutter ein, die zwar guten Willen, aber kein spezielles Wissen mitbringt? Als nach ihrem unverschuldeten Autounfall der Anwald Ed Masry trotz aller Versprechungen nicht die erwartete Entschädigung durchboxt, greift das renitente Weib zur Selbsthilfe, steht plötzlich in Masrys Kanzlei und stellt sich quasi selbst ein. Der Anwalt macht gute Miene zum bösen Spiel, für ein paar Dollar Stundenlohn darf sie Akten ordnen. Bald steckt sie aber auch ihre Nase in diese Akten und stößt auf einen Umweltskandal, der zum Himmel stinkt. Ihre mutigen Recherchen auf eigene Faust bringen erschreckende Fakten zu Tage. Nach einem Chemieunfall in einer kleinen kalifornischen Gemeinde wurde das Wasser vergiftet und die umliegenden Bewohner belogen, nachdem sich obskure Krankheiten und Todesfälle gehäuft hatten. Die junge Frau ruft auf zum flammenden Protest, weckt ihren Boss aus der Lethargie und mobilisiert in einer mühsamen Tür zu Tür-Aktion 600 Kläger. Auftakt zu einem der spektakulärsten Schadensersatzprozesse ...
Der Film mit dem albernen deutschen Titel weckt Erinnerungen an Martin Ritts
Norma Rae oder Alan J. Pakulas
Die Akte und hält sich im Handlungsverlauf sehr eng an Steven Zaillans
Zivilprozess. Allerdings präsentiert er in rührender Einfachheit nicht nur den Sieg der Gerechtigkeit, sondern auch die nötige Portion Gefühl. So hütet ein heißer Harley-Fahrer ganz selbstverständlich die Kinder, zeigt Verständnis und Verehrung für die couragierte Erin – bis dem Softi irgendwann der Geduldsfaden reißt und der Highway ruft. Aber eine Frau muss im Zeitalter der Gleichberechtigung tun, was eine Frau tun muss: die Zähne zusammenbeißen und weitermachen.
Interessant in dieser gelungenen Mischung aus Mainstream und Independent-Kino ist, dass sich eine junge Frau für Karriere (es geht nicht nur um altruistisches Engagement) entscheidet, Respekt und berufliche Selbsterfüllung der Zweisamkeit vorzieht. Die Heldin ist eine unbewusste Feministin in billigen Fähnchen, mit offenherzigem Ausschnitt und Minirock, die durch schnelles Mundwerk und schlechte Manieren auffällt, aber ganz bewusst ihre körperlichen Reize einsetzt ("Wozu habe ich Titten?"). Die knallharte Erfolgsideologie nach dem Motto "Jeder ist seines Glückes Schmied" funktioniert, die Verwirklichung des "American Dream" leistet hier eine Angehörige des "White Trash", die es schafft, weil sie alles schaffen will.
Geschickt vermeidet Soderbergh langweilige Gerichtsszenen, konzentriert sich auf Julia Roberts als Sympathieträgerin, die selbst zögerlichen Menschen noch Widerstandsgeist einzuhauchen vermag – die zuvor dem größten Arbeitgeber des Ortes blind glaubten und auch nie gelernt haben, sich zu wehren – denn sie ist eine von ihnen. Der Verlauf des Umwelt-Dramas ist nach dem kurzweiligen Opening zwar voraussehbar und die Spannung hält sich demzufolge in Grenzen, aber der perfekt inszenierte Prolo-Charme macht das wieder wett. Keine falschen Hoffnungen: Hollywood-Studios werden auch in Zukunft ihr Geld nicht in Greenpeace-Aktivitäten stecken, sondern in Filme, die – wie dieser – gängige Erwartungen erfüllen. Schließlich liebt das Publikum Feel Good-Movies im Stil David gegen Goliath, Nobody gegen Nadelstreifen. Das gibt auch "Underdogs" Mut und Selbstvertrauen. Nicht ohne Grund freut man sich diebisch, wenn zwei Welten aufeinander treffen, die spontane Erin Brockovich und der gutmütige Wald- und Wiesen-Anwalt Masry über die gewieften Wall-Street-Juristen der Gegenseite triumphieren. Und die Wirklichkeit? Seit dem Sieg im Jahre 1996 arbeiten Brockovich und Masry an sieben neuen Fällen. Durch die Schützenhilfe aus Hollywood fassten noch mehr Opfer Mut und wollen klagen.
Autor/in: Margret Köhler, 01.04.2000