Welche Überraschung – eine deutsche Komödie, die eine bewegende Geschichte auf intelligente und zu Herzen gehende Weise erzählt. Gelungen ist dieses kleine Kunststück Sandra Nettelbeck in ihrem ersten Kinofilm. Die Martha des Titels ist tatsächlich 'bella', hauptsächlich aber mit Leidenschaft in ihrer Arbeit aufgehende Chefköchin des französischen Restaurants Lido. Als ihre Schwester bei einem Autounfall ums Leben kommt, übernimmt Martha die ungewohnte und anstrengende Rolle der Ersatzmutter für ihre achtjährige Nichte Lina, die sehr unter dem Tod der Mutter leidet. Im Zuge ihrer Bemühungen, Linas Vater ausfindig zu machen, der nichts von der Existenz des Kindes ahnt, gerät Marthas zurückgezogenes Leben immer mehr aus den Bahnen. Ein neuer, lebensfroher italienischer Kollege ist der endgültige Auslöser für eine private Entwicklung, an deren Ende Martha eine wichtige Entscheidung treffen muss.
Populäres Erzählkino mit persönlicher Handschrift
Herausragendes Merkmal des Films ist die spielerische Leichtigkeit, mit der er ernste Themen –Einsamkeit und emotionale Leere eines Erwachsenen in der Großstadt, Tod der Mutter eines Kindes – in eine im guten Sinn unterhaltsame Geschichte kleidet. Ähnliche Leichtigkeit herrscht im Umgang mit erzählerischen und filmischen Konventionen. Scheu vor stereotypen Versatzstücken populären Erzählkinos kennt Sandra Nettelbeck nicht, diese werden im Gegenteil lust- und kunstvoll abgewandelt und humorvoll aufgefrischt: Der Film erzählt im Grunde eine bekannte Geschichte mit einem nicht sehr unbekannten Ende. Wie er dies allerdings macht, steckt bis zum Ende voller Überraschungen und Wendungen und im Verbund mit der ehrlichen Authentizität und dank durchwegs guter Schauspielerleistungen kommt so nie ein Gefühl von Vorhersehbarkeit auf.
Annäherung grundverschiedener Welten
Die professionelle Köchin Martha ist eine Person, die das Leben über ihre Arbeit definiert. Ihre Kochkunst hat nichts mit Genuss oder gar Lebenskunst zu tun, sondern dient dem Streben nach Perfektion. Es ist beeindruckend, wie einfühlsam und echt die graduelle Annäherung von zwei grundverschiedenen Welten nahe gebracht wird, als Martha ihrer Nichte nach einem elementar bedeutsamen Schicksalsschlag beizustehen hat. Die nicht kindgerechte Welt der Profiköchin und die des trauernden Kindes beginnen sich positiv zu beeinflussen – kein erzieherisch gereckter Zeigefinger, keine Vereinfachungen, kein Vertuschen von Trauer und Schmerz, kein Überspielen von Konflikten zwischen Erwachsenen und Kind und gerade deshalb mit viel Gefühl und Überzeugungskraft.
Neue Männerbilder?
Diese Eigenschaften treffen ebenso auf die Figuren des Films zu. Sie laden alle zur Identifikation ein, sind aber auch die Geschichte vorantreibende, eigenständige Charaktere. Auf clevere Weise positiv gezeichnet sind vor allem die Männer; eine ziemliche Bandbreite an zeitgenössischer Wirklichkeit und gleichzeitig unaufdringliche Funktionsträger im Handlungsgerüst einer romantischen Komödie. Wichtigster Mann ist selbstverständlich Marthas neuer italienischer Kochkollege Mario, lustvoll-spielerische Verkörperung vieler Bilderbuch-Klischees des Italieners (einschließlich 'ganzheitlichem' Zugang zum Kochen), darüber hinaus aber auch ein 'neuer Mann', in den sich Martha verlieben und dies zum Anlass nehmen kann, endgültig einen weit reichenden Entscheidungsprozess in Angriff zu nehmen.
Die Kochkunst als Mittler
Martha stellt ihr bisheriges Leben in Frage und ändert es, wie sich im amüsant-ambivalenten Ende des Films herausstellt. Sie findet sich aus eigenem Willen in einer Doris Day-Situation wieder, was natürlich auch Genreanforderungen sehr zufriedenstellend bedient. Ihre Entwicklung und die Gesamtstimmung des Films lassen glaubhaft erwarten, dass sie verschiedene Lebensbereiche in Einklang bringen wird, die noch vor wenigen Jahren feministische Haare zu Berge hätten stehen lassen: Mann, Kind, Küche. Denen, die das nun doch etwas zuckrig finden, sei hier das Wort von Nobelpreisträgerin Isabel Allende ans Herz gelegt: "Nur wenige Tugenden eines Mannes sind erotischer als seine Kochkunst. Das erste, was mich an meinem Mann interessierte, war seine unglaubliche Lebensgeschichte, aber richtig verliebt habe ich mich, als ich ihm bei der Zubereitung eines wunderbaren Essens zusah.”
Autor/in: Thomas Gerstenmeyer, 01.04.2002