Interview
"Themen, die mir unter die Haut gehen"
Ein Gespräch mit Mira Nair zu ihrem Film The Namesake - Zwei Welten, eine Reise
Das Interview führte Birgit Roschy.
Interviewpartner: Mira Nair
Ashoke, Ashima und Gogol, die Hauptfiguren Ihres Films, sind hin- und hergerissen zwischen den USA und ihren indischen Wurzeln. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
Ich verließ Indien im Alter von 19 Jahren und ging in die USA. Seither habe ich zwischen diesen beiden Welten gelebt. Anfänglich war ich sehr unschlüssig darüber, an wen sich meine Filme eigentlich richten. Ich machte Dokumentarfilme, die Indern fremd waren, und galt im Westen als exotische indische Regisseurin. Das Nichtwissen darüber, wer mein Publikum ist, war sehr schwer für mich – bis ich entdeckte, dass ich meine Verwirrung für meine Arbeit nutzen konnte.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Roman The Namesake zu verfilmen?
Das Buch hat mich ausgewählt. Ich las es im Flugzeug in einer Zeit, in der ich um eine geliebte Freundin trauerte, die wie eine Mutter für mich war. Sie hatte in Ostafrika gelebt und starb nach einer Operation in New York. Das Herz dieses Romans ist der Verlust eines Elternteils, Gogols Vater, der in einem Land fernab seiner Heimat stirbt. Ich kaufte die Rechte und verzichtete dafür auf zwei andere Projekte.
Betrachten Sie sich als eine politische Filmemacherin?
In erster Linie mache ich Filme über Themen, die mir unter die Haut gehen und mich nicht mehr loslassen. Filme, die eine Botschaft haben, empfinde ich eher als langweilig und glaube, dass sie die Aufmerksamkeit des Publikums unterminieren. Andererseits fühle ich mich nicht wohl mit harmlosen „Sonntagnachmittagsfilmen“, die jeder machen könnte. Das Leben ist kurz und Filme machen eine obsessive Beschäftigung. Ich muss die Balance zwischen Familie und Beruf halten und wäge deshalb immer sorgfältig ab, wie viel ein Film mir wert ist.
Was ist Ihr künstlerisches Credo?
Mein großes Mantra, das ich auch meinen Studenten vermittele, lautet: Wenn wir nicht wir selbst unsere Geschichten erzählen, wird es auch kein anderer tun. Aber wir müssen sie so gut wie möglich erzählen. Ich will das Privileg, Filme zu machen und viele Menschen zu erreichen, so gut wie möglich nutzen. Zurzeit drehe ich mit anderen Filmemachern Kurzfilme über das HIV-Virus, allerdings nicht im trockenen Stil eines staatlichen Aufklärungsfilms, sondern à la Bollywood. Die Aids-Ausbreitung in Indien ist verheerend, und es gibt dort so wenig Wissen über die Krankheit.
Auch in Ihrem neuen Film verbinden Sie tragische mit komödiantischen Elementen. Warum?
Dieser Film ist sehr emotional, auch traurig, und ohne komische Aspekte wäre er zu schwer und erdrückend. Lachen macht den Schmerz erträglicher.
Wird der Name des russischen Dichters Gogol Ganguli zum Schicksal?
Wir Inder glauben an das Schicksal. Doch Ashoke nennt seinen Sohn Gogol, weil ihm ein Roman dieses Dichters das Leben rettete – darüber hinaus hat der Name keine Bedeutung. Meine Mutter lehrte mich aber, dass auch schlimme Dinge, die geschehen, stets ihre Richtigkeit und ihren Sinn haben. Das ist ein Leitsatz in meiner Familie, der mir Trost spendet. Ich hoffe auch, dass das Publikum durch meinen Film achtsamer wird, sich selbst und anderen gegenüber. Denn wir alle sind wie Gogol, der seinen Vater verliert, ohne sich mit ihm auszusprechen – wir trauern um verpasste Gelegenheiten.
Am Ende kehrt Gogols Mutter nach Indien zurück. Ist Ashima die Bewahrerin der Tradition in der Familie?
Frauen müssen, ebenso wie Männer, viele Rollen erfüllen: als Schwiegertöchter, Mütter oder Töchter. Sich selbst an zweite Stelle zu setzen ist in einem gewissen Sinn eine schöne Art zu leben, denn das ermöglicht ganz verschiedene Arten von Erfahrungen. Der westliche Lebensstil, bei dem die familiären Bindungen so schnell und radikal abgeschnitten werden, beraubt sich selbst der Weisheit der älteren Generationen. In dem Gefühl, zu einer sehr alten Kultur zu gehören, liegt sehr viel Trost und Stärke für mich. Das endlose Kreisen um das, was wir als Einzelne tun wollen, ist nur eine Seite unseres Lebens – ich brauche auch die Gemeinschaft innerhalb einer Familie. Ohne diesen größeren Zusammenhang wird das Leben zum kurzatmigen "Rat Race".
Autor/in: Birgit Roschy, 01.06.2007
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