Interview
"Die Begeisterung für Idole ist ein vorübergehendes Phänomen"
Ein Gespräch mit Prof. Dr. Daniel Süss über die Bedeutung von medial vermittelten Idolen und Fantasiewelten für Kinder und Jugendliche.
Daniel Süss, 1962 geboren in Zürich, ist Professor der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Psychologe FSP und SBAP, außerdem Privatdozent für Publizistikwissenschaft und Medienpädagogik an der Universität Zürich. Seine Forschungsprojekte beschäftigen sich unter anderem mit
Filmbildung in Schulen, ein weiterer Schwerpunkt sind
Kinder und Jugendliche im sich wandelnden Medienumfeld.
Filme und Serien konstruieren erfolgreich mediale Leitfiguren für Kinder und Jugendliche. Welche Sehnsüchte und Ängste Heranwachsender werden dabei aufgegriffen?
Junge Menschen sind besonders ansprechbar für Figuren, die signalisieren, dass aus einem ganz gewöhnlichen Alltag heraus etwas Besonderes entstehen kann, dass ein Mensch plötzlich entdeckt werden kann und in der Gesellschaft Anerkennung findet. Viele populäre Figuren spielen mit diesem Motiv, auch "Hannah Montana", die als Miley einen unauffälligen Alltag lebt und sich erst auf der Bühne in den umjubelten Pop-Star verwandelt. Hinter der Faszination solcher Figuren steht das Bedürfnis nach Wertschätzung und die Angst, unbeachtet zu bleiben, eine "graue Maus" in einer bunt glitzernden Erlebnisgesellschaft zu sein.
Wann wird die Beziehung zu dem "Idol" problematisch?
In der Entwicklungspsychologie spricht man davon, dass eine "übernommene Identität" in einer bestimmten Phase des Suchens durchaus normal ist, dass es aber weiter gehen sollte, um zu einer "erarbeiteten Identität" zu gelangen. Wenn sich allerdings jemand völlig mit einem Idol identifiziert und nicht mehr danach fragt, was ihn selbst unverwechselbar macht, kann diese Person ihre eigenen Stärken und Grenzen nicht finden und akzeptieren lernen.
Inwiefern unterstützten spezielle Medienprogramme und begleitendes Merchandising das Bedürfnis Heranwachsender nach Gruppenzugehörigkeit?
Mediale Vorbilder werden dazu genutzt, die Peergroup zusammen zu schweißen. Gemeinsame Fankulturen schaffen Abgrenzung von anderen – zum Beispiel den Eltern –, welche die Begeisterung nicht teilen. Je mehr Merchandising-Produkte und Medienverbund-Angebote bestehen, desto umfassender kann die Zugehörigkeit expressiv gelebt werden. In vielen Serien werden allerdings nicht bloß Konsumstile und Beziehungsmuster vorgelebt, sondern auch Themen wie Fairness und Freundschaft.
Welche Funktion erfüllen diese realistisch erscheinenden medialen Fantasiewelten für Heranwachsende?
Fantasiewelten haben etwas Entspannendes. Sie ermöglichen, aus dem Alltag auszusteigen und sich an einfach gestrickten dramaturgischen Mustern zu freuen, wo man zum Beispiel weiß, dass am Ende der Folge oder des Films die Welt wieder in Ordnung ist. Problematisch wird es dann, wenn man echte Herausforderungen im Alltag nicht mehr anpackt, sondern sich so sehr mit der fiktionalen Welt identifiziert, dass man das Miterleben der Schicksale und Erfolge medialer Figuren als Ersatz für das Anstreben eigener Erfolge nutzt.
Welche Handlungsmöglichkeiten haben Eltern oder Lehrkräfte in Bezug auf die Förderung eines kritischen Umgangs Heranwachsender mit medialen Idolen?
Die Begeisterung für Idole ist ein vorübergehendes Phänomen. Eltern und Lehrkräfte sollten die Stars nicht zu demontieren versuchen, sondern aufgreifen, was aus Sicht der Heranwachsenden durch die Figuren an Erstrebenswertem verkörpert wird. Danach kann auch nachgefragt werden, in welchen Punkten die Jugendlichen sich von der Figur abgrenzen würden oder Dinge für wichtig erachten, welche in der Geschichte kein Thema sind. Ein kritischer Medienumgang kann auch dadurch unterstützt werden, wenn man gemeinsam Informationen über die Produktionsbedingungen und die Vermarktungsmodelle im Kontext der Medienangebote diskutiert.
Kinder und Jugendliche wachsen ja zunehmend in einer Welt auf, in der mediale und traditionelle Erfahrungen einen ähnlichen Stellenwert besitzen. Wie können wir konstruktiv mit dieser Mediendominanz umgehen?
Mediale Erfahrungen sind kein Ersatz für reale Begegnungen, sondern eine Ergänzung. Sowohl die reale Welt als auch die mediale Welt sollten anregend und altersgerecht beschaffen sein. Problematisch wird es dann, wenn Eltern oder andere Bezugspersonen Kindern mediale Erfahrungsräume zur Verfügung stellen, um mehr Zeit für sich selbst oder fürs Arbeiten zu haben. Mediale Welten können aber auch ein realer Treffpunkt sein, wo man gemeinsame Erfahrungen sammelt und sich über diese austauscht. Das kann als Teil von Medienkompetenz verstanden werden. Dann werden die Medien nicht dominant, sondern im Zentrum bleiben die Rezipienten.
Autor/in: Ula Brunner, Journalistin und Redakteurin bei kinofenster.de, 25.05.2009
Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 2.0 Germany License.