Hintergrund
Junge Lebenswelten im subsaharischen Kino
Wenn man über das subsaharische Kino spricht, kommt man an Burkina Faso nicht vorbei. In der Hauptstadt Ouagadougou findet seit 1969 das panafrikanische Film- und Fernsehfestival FESPACO statt, die wichtigste Plattform für den Kinofilm zwischen Sahara und Südafrika. In dem kleinen westafrikanischen Binnenland, das noch immer zu den ärmsten Staaten der Welt zählt, wurden etliche Schlüsselwerke gezeigt (und produziert), in denen sich – manchmal realistisch, manchmal mythisch überhöht – die vielfältige Lebenswirklichkeit junger Menschen in Afrika widerspiegelt.
Touki Bouki
Bereits
Touki Bouki (Senegal 1973), das avantgardistische Werk des Senegalesen Djibril Diop Mambéty, war auf dem Festival von Ouagadougou zu sehen. Der Film markiert einen Wendepunkt im frühen afrikanischen Kino. Befassten sich die Regisseure/innen nach der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten (vorher war es afrikanischen Filschaffenden verboten, im eigenen Land zu drehen) zunächst in lehrhafter Diktion mit den Folgen der Kolonisation und der nationalen Identitätsfindung, so erweitert
Touki Bouki die Themenpalette um Problemkreise junger Menschen innerhalb der modernen Lebenswelt. Ironisch nimmt Mambéty den Traum junger Afrikaner von Reichtum und Glück im fernen Europa aufs Korn. Dabei vermischt der Film realistische und surreale Motive und durchbricht immer wieder die erzählerische Kontinuität durch wechselnde Schauplätze oder irritierende Zwischenschnitte. In der Schelmenkomödie wollen der junge Herumtreiber Mory und seine Freundin nach Paris migrieren. Doch als sie endlich das Geld für die Überfahrt beschafft haben, entscheidet sich Mory gegen das "Gelobte Land" und für seine Heimat. Dass ausgerechnet Paris als Sehnsuchtsziel dient, zeigt zugleich, wie nachhaltig die wirtschaftlich starke, ehemalige Kolonialmacht Frankreich die Gedankenwelt einer erlebnishungrigen, aber perspektivarmen Jugend prägte.
Zwischen Alltag und Aberglaube
War
Touki Bouki wegweisend für den thematischen Aufbruch des frühen afrikanischen Kinos, realisierte Idrissa Ouédraogo 1989 mit dem fast dokumentarisch wirkenden
Yaaba – Großmutter (Yaaba, Burkina Faso, Frankreich, Schweiz 1989) einen Meilenstein afrikanischen Kinderfilms.
In einem kleinen Savannendorf freunden sich der kleine Bila und seine Cousine mit einer als Hexe verfemten Greisin an, die sie zärtlich Großmutter nennen. Als Bila schwer erkrankt, rettet Yaaba das Mädchen mit Hilfe eines heilkundigen Alten, der sich gegen den Hokuspokus eines geldgierigen Scharlatans durchsetzt. "Der Film beruht auf einer Erzählung aus meiner Kindheit und der Erinnerung an das, was den Kindern vor dem Einschlafen erzählt wird", sagt der Regisseur.
Yaaba verweist nicht nur auf die Bedeutung der mündlichen Überlieferung, die einst vor allem Sache der traditionellen Griots, der Sänger und Geschichtenerzähler, war. Er positioniert die kleinen Protagonisten/innen auch innerhalb eines zentralen Konflikts, der immer wieder im afrikanischen Kino abgehandelt wird: das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, Fortschritt und Aberglaube.
Mythen und Initiation
Aberglauben und Mythos verknüpft mit einer für afrikanische Filme typischen jugendlichen "Bildungsreise" zeigt auch Gaston Kaboré in seinem Film
Buud Yam (Burkina Faso 1997), der ihm 1997 den FESPACO-Hauptpreis einbrachte. Kaboré siedelt das Dorfdrama zu Beginn des 19. Jahrhunderts am Niger an. Der 21-jährige Wend Kuuni hadert damit, dass er von der abergläubischen Dorfgemeinschaft mit mehreren Unglücksfällen in Verbindung gebracht wird. Als seine Stiefschwester schwer erkrankt, bricht er auf, um einen sagenhaften Heiler zu suchen. Kaboré bettet den Aufbruch des Außenseiters in imposante Landschaftsbilder ein. Mit Hilfe phantastischer Szenen und des lyrischen Erzähltons von Wends Off-Kommentar entsteht so eine archaische Initiationsreise des jungen Helden, die vom charakteristisch langsamen Tempo afrikanischer Dorffilme geprägt ist. Gereift und aufgeklärter, wird Wend am Ende wieder von der Dorfgemeinschaft aufgenommen. Mit deutlichem Bildungsanspruch führt der Film vor Augen, dass die ursprüngliche Ausgrenzung des Protagonisten nicht in persönlichen oder wirtschaftlichen Rivalitäten wurzelt, sondern in Vorurteilen und Aberglauben.
Protest gegen Genitalverstümmelung
Moolaadé - Bann der Hoffnung
Die anhaltende Unterdrückung von Mädchen und Frauen in patriarchalisch geprägten Gesellschaften steht im Mittelpunkt von
Moolaadé – Bann der Hoffnung (Moolaadé, Senegal, Frankreich, Burkina Faso, Marokko, Tunesien, Kamerun 2004) des senegalesischen Regiemeisters Ousmane Sembène. Die Parabel erzählt von vier Mädchen, die in einem westafrikanischen Dorf "beschnitten" werden sollen und zur allseits respektierten Collé fliehen, die ihnen Asyl gewährt. Je schärfer der Machtkampf zwischen Collé einerseits und den reaktionären Dorfältesten und unerbittlichen "Beschneiderinnen" andererseits wird, umso deutlicher tritt die Heuchelei der Befürworter/innen des barbarischen Brauchs zutage. Bei aller Spottlust über Denkfaulheit, Macho-Gehabe und Standesdünkel argumentiert Sembène stets differenziert: Auch die moderne Zivilisation schützt nicht vor unkritischer Autoritätshörigkeit, wie ein aus Europa zurückgekehrter Student belegt.
In der Großstadt
Mit beschaulichen Szenerien und linearer Erzählweise, wie sie in den Dorffilmen zu finden sind, hat
Ouaga Saga (Burkina Faso 2005) von Dani Kouyaté nichts zu schaffen. Der Film ist typisch für eine neue Generation frecher, anarchischer Großstadtfilme, die in Subsahara-Afrika ein begeistertes Publikum finden. In dynamischen Bildern schildert er locker gefügte Episoden aus dem turbulenten Leben junger Leute in der Großstadt Ouagadougou, kurz Ouaga. Ohne feste Arbeit schlagen sie sich einfallsreich durchs Leben. Leichthändig inszeniert, mit burlesken und mythischen Erzählelementen, wie sie typisch für das subsaharische Kino sind, spricht die Komödie dennoch allgegenwärtige Probleme Jugendlicher an: Kriminalität, Bildungsmangel und Geschlechterkonflikte.
Krankheit und Hoffnung
Themba - Das Spiel seines Lebens
In schwierigen Lebensumständen befindet sich auch der Held des südafrikanischen Jugenddramas
Themba – Das Spiel seines Lebens (Themba, Deutschland, Südafrika 2010) der deutschstämmigen Südafrikanerin Stefanie Sycholt. Als die Mutter des elfjährigen Fußballtalents Themba zum Geldverdienen nach Kapstadt geht, vergewaltigt ihr Lebensgefährte den Jungen und infiziert ihn dabei mit dem HIV-Virus. Sycholts Kombination aus
Coming-of-Age-Film und Fußballmärchen zeigt exemplarisch, wie Aids noch heute in Südafrika totgeschwiegen wird und HIV-Kranke stigmatisiert werden. Die Regisseurin verknüpft diese kritische Analyse mit einem vordergründigen Solidaritätsappell, der in ein moralisierendes Happy End mündet. Was Subsahara-Afrika am wenigsten braucht, sind Filme ohne Hoffnung, hat sich Sycholt möglicherweise gedacht.
Autor/in: Reinhard Kleber, Redakteur und Autor im Bereich Film und Medien, 24.11.2010
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Zulu Love Letter (Pädagogisches Begleitmaterial vom 29.09.2006)
Mossane (Pädagogisches Begleitmaterial vom 29.09.2006)
Faat Kiné (Filmbesprechung vom 01.01.2004)
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