In einer schicken Neubausiedlung mäht der 21-jährige Hilfsarbeiter Trent regelmäßig die Rasen der wohlhabenden Bewohner. Dabei muss er sich nicht nur mit zahlungsunwilligen Kunden herumschlagen, sondern wird auch von einigen hochnäsigen Jungen drangsaliert. Die zehnjährige Devon, die mit ihren Eltern neu zugezogen ist, tut sich ebenfalls schwer, in der Siedlung Freunde zu finden. So vertreibt sie sich die Zeit häufig mit den schaurigen Hexenmärchen von Baba Yaga. Als sie sich im Wald jenseits der großen Mauer rund um die Siedlung verirrt, entdeckt sie Trents alten Wohnwagen. Dieser will von Devon zunächst nichts wissen, doch das Mädchen bleibt hartnäckig und lässt sich nicht abwimmeln. Schließlich werden die beiden Außenseiter Freunde. Devons Eltern wittern hinter der unschuldigen Freundschaft jedoch eine große Gefahr, zumal der Wachbeamte Trent des Vandalismus verdächtigt. Als das Mädchen zuhause in missverständlicher Weise von einem hässlichen Zwischenfall mit Trent berichtet, trommelt der Vater einige Männer zusammen, um es dem Fremden heimzuzahlen.
Bis zu diesem Punkt wirkt der Film von John Duigan, der 1989 mit
Romero über den gleichnamigen engagierten Bischof aus San Salvador auf sich aufmerksam machte, wie eine realistische Milieustudie über öde amerikanische Vorstädte. Anders jedoch als etwa in David Lynchs Thriller
Blue velvet oder Tim Burtons Kabinettstück
Edward mit den Scherenhänden, in denen Perversionen bzw. ein künstlicher Mensch die Rasen-Idylle in Unordnung bringen, sorgt hier die Magie des Märchens für die große Überraschung. Denn nur mit Hilfe der mächtigen Zauberin Baba Yaga, in deren Rolle sich die fantasievolle Devon versetzt, kann sie Trent vor dem tödlichen Unheil retten, das sie mit ausgelöst hat.
Schon früh wird angedeutet, dass sich hinter den schönen Kulissen der kleinen, heilen Vorstadt Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit, sogar seelische Abgründe verbergen. So 'schießt' ein bösartiger Nachbarjunge schadenfroh mit einem Spielzeugrevolver auf den Rasenmähermann, so dass dieser zu Tode erschrickt und versehentlich seinen Cowboyhut zerstört. Und die Zehnjährige wehrt sich gegen die ständige Nörgelei der überangepassten Eltern, indem sie heimlich Sabotageakte verübt. Auf der anderen Seite stößt der junge Gartenpfleger seine prüden Mitmenschen vor den Kopf, als er vor aller Augen nackt in den Fluss springt. Doch nicht nur wegen ihrer Außenseiterstellung interessieren sich Devon und Trent füreinander. Duigan und Drehbuchautorin Naomi Wallace statten die beiden Hauptfiguren auch mit einer Fülle von weiteren Gemeinsamkeiten und skurillen Eigenheiten aus, die zudem erfolgreich Ansätze von Schematismus in der Darstellung von Arm und Reich, Kinder- und Erwachsenenwelt konterkarieren. Devon und Trent sind dem Tod gleichsam von der Schippe gesprungen und durch große Narben buchstäblich gezeichnet: sie durch eine schwere Herzoperation, er durch eine Schrotschussverletzung. Beide teilen auch Isolationsgefühle und Verlustängste: Devon ertappt ihre überkorrekte Mutter bei einem Seitensprung, während Trents attraktive Geliebte sich nicht öffentlich mit ihm sehen lassen will.
Solange Trent seine Arbeit verrichtet und den Alltagstrott im Ghetto der Wohlhabenden nicht stört, wird er als notwendiger Fremdkörper geduldet. Als er jedoch durch die ungewöhnliche Freundschaft mit der Minderjährigen die normative Grenze der Konventionen überschreitet, betrachtet ihn die Gemeinschaft als unerwünschten Eindringling. Dazu braucht der Verdacht eines angeblichen sexuellen Missbrauchs noch nicht einmal ausgesprochen zu werden. Wie sich im stickigen Klima dieses Mikrokosmos Vorurteile, Misstrauen, Eifersucht und Intoleranz hochschaukeln zu einer Atmosphäre greifbarer Lynchjustiz, das hat Duigan präzise inszeniert, ohne in vordergründiges Moralisieren zu verfallen. Gerade vor dem Hintergrund der belgischen Dutroux-Affäre, aktueller Fälle von Sexualmorden an Kindern und der Debatte um Kinderpornografie im Internet gewinnt
Heimliche Freunde besondere gesellschaftskritische Brisanz. Maßgeblich zum Gelingen der faszinierenden Fallstudie tragen Hauptdarsteller Sam Rockwell und vor allem die hochtalentierte Mischa Barton bei. Wenn sie am Ende zu Revolver und Zauberkamm greift, um das Schlimmste zu verhindern, dann reißt sie uns nicht nur mit ihrem natürlichen Spiel mit, sie lässt uns auch mit unbequemen Fragen zurück: Warum gab es keine andere Lösung, als das Fremde auszugrenzen? Was kann man auch ohne Baba Yaga tun, um Hexenjagden im Keim zu ersticken?
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.08.1998