Interview
...den Hass überwinden
Im Gespräch mit Hans Koschnick
Das Interview führte Holger Twele.
Interviewpartner: Hans Koschnick
Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit den verschiedenen ethnischen Gruppierungen im ehemaligen Jugoslawien gemacht?
Gute, schlechte und auch überraschende, in jeder Hinsicht. Es gibt auf allen Seiten Kräfte, die ein friedliches Zusammenleben wollen und einsehen, dass Nationalismus ins Verderben führt. Wir müssen deshalb aufpassen, dass wir bei der täglichen Aktualität nicht den Blick auf die gemäßigten, integrativen Kräfte verlieren. Wenn von "den Serben" oder "den Kroaten" die Rede ist, dann darf man nicht nur an die bekannten Darsteller nationalen Größenwahns denken. Auch wir hatten ja einst allen Grund, nicht pauschal als "die Deutschen" abgestempelt zu werden. Jetzt wächst in Belgrad und an vielen Orten eine Generation nach, die Schluss machen will mit der Mythomanie vom großserbischen Reich und anderen Utopien, wie sie auf dem Balkan seit Jahrhunderten bestehen.
Wie haben sich die aktuellen Ereignisse im Kosovo auf Ihre bisher geleistete Arbeit ausgewirkt?
Bevor der Kosovo-Konflikt eskalierte, ging es in Bosnien gut voran. Seit Februar/März aber sind über 70.000 Menschen infolge des Kosovo-Krieges nach Bosnien geflohen. Also fast so viele Flüchtlinge, wie wir infolge des Bosnienkrieges noch in Deutschland haben. Das ist eine schwere Hypothek für Bosnien und Herzegowina – auch vor dem Hintergrund einer erst wieder aufkeimenden Wirtschaft, die jetzt durch den fast vollständig weggefallenen Handel mit Serbien gewaltig zurückgeworfen wurde. Vor allem im bosnisch-serbischen Gebiet, der Republika Srpeka. Bosnien leidet jetzt wieder, das müssen wir berücksichtigen, wenn es um ein Stabilisierungskonzept für den Balkan insgesamt geht.
Halten Sie ein friedliches Zusammenleben zwischen Serben und Kosovo-Albanern in naher Zukunft noch möglich?
Nein, nicht in naher Zukunft. Wir müssen uns darauf einrichten, dass wir lange Zeit für Waffenruhe und innere Sicherheit im Kosovo zu sorgen haben. Die Wunden sind sehr tief und werden noch lange schmerzen. Hitzköpfe gibt es auf allen Seiten. Übergriffe müssen gestoppt und, wo immer es möglich ist, vermieden werden – und zwar auf jeder Seite. Denn was jetzt verschiedene Albaner mit friedlichen serbischen Kosovo-Bewohnern treiben, ist genauso verwerflich. Und es wäre fatal, wenn die alteingesessenen Serben aus dem Kosovo weichen würden. Unrecht darf keinesfalls mit neuem Unrecht vergolten werden. Eine räumliche Trennung ist nicht realistisch – oder wollen wir etwa zusehen, wie die vielen orthodoxen Klöster im Kosovo aufgegeben und serbische Dörfer entvölkert werden? Denken wir zum Beispiel auch an das Gesundheitssystem: Serbische und albanische Ärzte und Schwestern haben seit jeher albanische Patienten versorgt, natürlich immer auch Angehörige der anderen Bevölkerungsgruppe. Das ist Teil der gemeinsamen Kultur, die es zu erhalten und wieder zu festigen gilt – auch wenn es schwer ist und lange dauern wird.
Wie gehen die Serben mit der ihnen zugeschriebenen Kollektivschuld ihres Landes an den Balkan-Kriegen um?
Oftmals verbittert und fatalistisch, etwa nach der Lesart: Wir sind immer die Bösen, egal was wir tun. Deshalb kann ich nur eindringlich davor warnen, die Serben kollektiv zu beschuldigen. Das wird der historischen Wahrheit, so es eine gibt, nicht gerecht. Nennen wir die Urheber des nationalen Größenwahns beim Namen, aber verschonen wir die vielen Menschen, die entweder unbeteiligt waren oder als Verführte Nachsicht und auch Verständnis erwarten können – so wie wir noch heute auf das Verständnis derer angewiesen sind, denen in deutschem Namen Schlimmes widerfahren ist.
Welche Lehren sollte die Internationale Gemeinschaft aus den Vorgängen in Bosnien und im Kosovo ziehen ?
In Bosnien und jetzt im Kosovo haben wir zu lange zugesehen, wie sich blinder Hass entwickelte, wie arme, geschundene Menschen verjagt, geschändet, gemordet wurden. Wir haben gehandelt, aber leider erst, als das Morden ein unerträglich spektakuläres Maß angenommen hatte. Ja, wir haben in Bosnien und jetzt auch im Kosovo zu spät gehandelt. Jetzt geht es darum, durch gezielte Hilfen Zeichen zu setzen, die auf dem Balkan verstanden werden. Wer den Hass überwindet und sich zum friedlichen Zusammenleben bekennt, bekommt Hilfe und eine Perspektive für ein besseres Leben. Wer im alten Denken verharrt, muss sehen, wo er bleibt. In Bosnien wirkt dieses einfache Rezept. Warum sollte es im Kosovo und in Serbien versagen?
Autor/in: Holger Twele, 11.12.2006