Die junge Studentin Ada lebt mit ihrer Mutter Marina und ihrer Großmutter Eka in einer kümmerlichen Wohnung in der georgischen Hauptstadt Tiflis. Ada sucht einen Job und nach einem Platz im Leben, während die Mutter, eine Ingenieurin, die verarmte Familie mit Verkäufen von Hausrat und mit kleinen Lottogewinnen ernährt. Eka träumt den vermeintlich guten alten Zeiten unter Stalin hinterher und wartet sehnsüchtig auf die Anrufe und Briefe ihres Sohnes Otar, der als ausgebildeter Mediziner auf einer Baustelle in Paris schuftet und von dort gelegentlich ein paar Francs schickt. Als ein Freund des illegalen Einwanderers eines Tages berichtet, dass Otar tödlich verunglückt sei, bringen es Marina und Ada nicht über das Herz, die traurige Nachricht an die Alte weiterzugeben. So fingieren sie Briefe aus Paris, in denen Otar von einem besseren Leben erzählt. – Mit sicherer Hand schildert Julie Bertuccelli in ihrem ersten Spielfilm das komplexe Beziehungsgeflecht dreier Frauen aus drei Generationen, das durch die Notlüge auf eine harte Probe gestellt wird. Für humoristische Auflockerung sorgt der unterschwellig ausgetragene Wettstreit, den die verhärmte Marina mit dem nie im Film auftretenden Otar um die Zuneigung der Großmutter austrägt. Eka hat es sich derweil in ihrer Nostalgie gemütlich gemacht und versucht, so gut es geht die Augen vor den gesellschaftlichen Veränderungen des Post-Kommunismus zu verschließen. Die 90-jährige Schauspielerin Esther Gorintin verleiht der Rolle dieser Matriarchin nicht nur eine starke Leinwandpräsenz, sondern auch eine tiefe Menschlichkeit. Die einzige Schwäche der subtilen Inszenierung, die jeden Anflug von Weinerlichkeit oder Melancholie vermeidet, besteht in der naiven und schier grenzenlosen Bewunderung, mit der die Protagonistinnen der 'Grande Nation' und allem begegnen, was an Frankreich erinnert.
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.05.2004