Wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger wurde Walter zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung versucht er mühsam, unter ständiger psychologischer Betreuung im Leben wieder Fuß zu fassen. Er findet sogar Arbeit in einem Sägewerk, eine lärmige Wohnung direkt gegenüber einer Schule, die sonst niemand haben wollte, und eine Frau, die in ihrem eigenen Leben schon einiges einstecken musste. Dennoch lebt Walter in ständiger Angst vor Repressalien, falls seine Vergangenheit bekannt werden würde, und vor seinen Gefühlen gegenüber jungen Mädchen, die ihn in Gewissenskonflikte stürzen. Seine verheiratete Schwester meidet ihn, die Polizei überwacht und verdächtigt ihn und dann lernt Walter auch noch eine Zwölfjährige kennen, die sich offenbar in ihre eigene Welt zurückgezogen hat. – Das Thema des sexuellen Missbrauchs von Kindern ist immer noch ein großes Tabu, obwohl die Öffentlichkeit inzwischen dafür sensibilisiert ist und jeder meint, darüber Bescheid zu wissen, vor allem wenn es um die Bestrafung der Täter geht. Auf den ersten Blick scheint dieser erstklassig gespielte Film daher kontraproduktiv, denn er konzentriert sich nicht auf das Mitgefühl und die Solidarität mit den Opfern, sondern vermittelt detailliert den Spießrutenlauf eines ehemaligen Täters, der für seine Vergehen bestraft worden ist und dem nun die Sympathie gilt. So leicht mit der Trennung von Gut und Böse möchte es die Regisseurin Nicole Kassell dem Publikum aber nicht machen. Weder Walters Verfehlungen noch seine Verurteilung und das Strafmaß werden im Film ausgeführt. So wie Walter von seiner Gefühlswelt und seinen Neigungen extrem verunsichert ist, erfahren auch die Zuschauenden zunächst allenfalls in Andeutungen etwas darüber, ob von ihm eine konkrete Gefahr ausgeht oder nicht. Das regt dazu an, sich mit dem Protagonisten jenseits gängiger Klischees über perverse Triebtäter und Gewaltverbrecher mehr Gedanken darüber zu machen, was eigentlich "normal" ist, beispielsweise wenn es um "Kinderliebe" und "Geschwisterliebe" im Graubereich von Familie und Sexualität geht, oder wie man sich Menschen gegenüber am besten verhalten soll, die diese Grenze aus welchen Gründen auch immer einmal überschritten haben.
Autor/in: Holger Twele, 01.05.2005