In Pummelstadt ist das Leben eine runde Sache. Die Menschen schlemmen nach Herzenslust und tragen ihre Pfunde mit Stolz. Für reichlich Nachschub sorgt jederzeit Vater Trommel mit seinen leckeren Hot Dogs. Ebenso beliebt – und als sportliches Schwergewicht des jährlichen Sommerwettbewerbs fast gefürchtet – ist sein Sohn Dik. Doch um im nahegelegenen Dünnhafen ein Restaurant zu eröffnen, bugsiert der Vater seine Familie aus der gewohnten Umgebung. Er hätte besser auf den Namen geachtet.
Kampf gegen Fett und Cholesterin
Denn in Dünnhafen ist alles umgekehrt. Hier regiert ein fanatischer Schlankheits- und Fitnesswahn. Die Menschen sind keineswegs dünn, weil sie nichts zu essen haben, wie Dik naiv vermutet. Sie haben Fett und Cholesterin den Kampf angesagt und treiben ununterbrochen Sport. Vater Trommel muss sein Restaurant wehmütig auf Gemüse umstellen, um Gäste zu haben, die anpassungsfähigere Mutter lockt die Kundschaft mit selbstgemachten Rhabarbershakes. Doch die Trommels bleiben Außenseiter/innen. Besonders Dik leidet unter dem herrschenden Schönheitsideal und wird von seinen Mitschülern/innen gemobbt. Allein sein Freund Hans und die attraktive Lieve, die von ihrer Mutter auf strengste Diät gesetzt wurde, fühlen sich dem ungeliebten "Fettwanst" verbunden. Durch gewitzte Manöver kann Dik nicht nur ihr Herz gewinnen, sondern auch ganz Dünnhafen mit dem Genuss fetthaltiger Nahrung vertraut machen. Am Ende können die Trommels wieder so sein, wie sie sein wollen, nämlich "dick, aber glücklich!"
Farbenfrohe Filmsatire
Mit
Trommelbauch erfährt der niederländische Kinderbuchklassiker von Cornelis Johannes Kieviet seine Modernisierung als
farbenfrohe Filmsatire. In stark überspitzter Form werden unterschiedliche Werte, Lebensweisen und Schönheitsideale gegeneinander ausgespielt. Vor dem Hintergrund der humorvollen Überspitzung ist auch die ernährungswissenschaftlich nicht immer ganz korrekt beantwortete Frage nach der "richtigen" Ernährung zu verstehen. Zieht man solche Übertreibungen ab, bleibt ein ernstgemeintes Plädoyer für Toleranz, zumindest was dicke Menschen betrifft. Die dünne Mehrheit hingegen bekommt ihr Fett weg. Der komödiantische Kampf Dick gegen Dünn spiegelt sich schon im Ausstattungsdesign. Herrschen in Pummelstadt runde Formen und satte Farben von Senfgelb bis Ketchuprot, sind in Dünnhafen selbst die Farben dünn: Blasse Pastelltöne illustrieren den vornehm-asketischen Lebensstil einer Gesellschaft, die Genüssen misstraut. Weiterhin auffallend ist die perfekte Einförmigkeit nicht nur von Häusern, Straßen und Geschäften, sondern auch der Bewohner/innen in ihrer uniformen Sportbekleidung. Diese hyperrealistische Stilisierung, im Komödiengenre nicht ungewöhnlich, enthält eine weitere überspitzte Aussage: Dünne Menschen haben nicht nur keinen Spaß, sie sind auch mehr oder weniger gleich. Letzteres ließe sich allerdings auch über die dicken Bürger/innen von Pummelstadt sagen. Die Eingangsszene zeichnet sie – in
Großaufnahmen und in
Zeitlupe – allesamt als hemmungslos genusssüchtig.
Dik als Sympathieträger
Die Trommels freilich finden individuelle Wege, um die Herausforderung in Dünnhafen zu meistern. Insbesondere Dik ist mit seiner freundlich-selbstbewussten Art unbestrittener Sympathieträger, was durch seinen Außenseiterstatus noch untermauert wird. An seiner Figur werden auch die ernsteren Themen Intoleranz und das Mobbing von Übergewichtigen festgemacht. Zwischenzeitlich fühlt er sich selbst so dick und hässlich, dass er den Mut verliert. Nie jedoch würde er sich dem Schlankheitsdiktat unterwerfen, wie es seine abspeckwillige Mutter tut. Lieber genießt er heimlich die in Gemüseform gegossenen Schokoleckereien seines Vaters.
Essnormen und Vorurteile
Die Essnormen werden auf beiden Seiten von den Eltern geprägt. So wie Dik ohne seinen "Nachtisch" nicht zu Bett gehen kann, folgt auch Lieves strenge Diät der Erwartungshaltung ihrer Mutter. Den damit einhergehenden Leidensdruck rechtfertigt eine erlogene Familienlegende: Der Vater habe die Mutter verlassen, weil sie "zu dick" sei. Auf der anderen Seite steht die Sportskanone Viktor, der Dik das Leben schwermacht. Doch in Wahrheit ist auch er ein Opfer der Erwartungen seines Vaters Rolf, dem Betreiber des örtlichen Fitness-Studios.
Doppeldeutige Botschaft mit Lehrwert
Indem sie sich von ihren Eltern emanzipiert haben und beherzt ins Wurstbrot beißt, lernt die Jugend Dünnhafens eine wichtige Lektion. Auf ähnliche Weise kann ein jugendliches Publikum auch den Film hinterfragen und ihn gewissermaßen "gegen den Strich" lesen. Seine freche Machart ermuntert geradezu dazu, den Zusammenhang von einseitiger Ernährung, Bewegungsmangel und Übergewicht zu erkennen und eigene Schlüsse zu ziehen. In der oft konfrontativ geführten Debatte um die "richtige Ernährung" und um gesunden Lifestyle appelliert er an die gesellschaftliche Kompromissfähigkeit und fordert in diesem Zuge die vorurteilsfreie Wertschätzung auch solcher Menschen, die sich auf Druck gesellschaftlicher Schönheitsnormen und Denkweisen in einer Außenseiterposition wiederfinden. In unseren westlichen Gesellschaften, in denen Übergewicht zunehmend zu einem Phänomen der Mehrheit wird, gilt dies selbstverständlich auch für die Dünnen.
Autor/in: Philipp Bühler, Filmjournalist und Autor von Filmheften der bpb, 28.03.2013
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.