Kategorie: Film
"Apocalypse Now Redux"
Apocalypse Now Redux
Apocalypse Now ist offensichtlich das Lebenswerk des Regisseurs Francis Ford Coppola. Der Film hat längst seine eigene Legende geschrieben.
Unterrichtsfächer
Thema
<kursiv_import>Apocalypse Now</kursiv_import> ist offensichtlich das Lebenswerk des Regisseurs Francis Ford Coppola. Der Film hat längst seine eigene Legende geschrieben. Er startete 1979 mit zwei verschiedenen Schlüssen. Coppola sprach stets davon, das sei kein Film über Vietnam sondern Vietnam selbst, so erschütternd waren die Erfahrungen am Set. Diese Aussage stützt ein Dokumentarfilm über die Dreharbeiten: <kursiv_import>Hearts of Darkness – A Filmmaker's Apocalypse</kursiv_import>. Auch davon gibt es zwei Fassungen, eine von 1979, eine von 1991. Und nun also die neue Version des Films: <kursiv_import>Apocalypse Now Redux</kursiv_import>. Sie ist 53 Minuten länger als Fassung Nummer 1, enthält zwei ganz neu eingefügte Sequenzen und viele szenische Ergänzungen. Ein anderer Film ist <kursiv_import>Apocalypse Now Redux</kursiv_import> nicht geworden. Er hat Coppolas ursprüngliche Aussagen und Absichten aber verstärkt. Nicht intellektuell, denn der Film zielt nicht auf den Kopf sondern auf die Emotionen.
Plädoyer für einen Filmklassiker
Ein Filmklassiker hat derzeit nur die Chance, erneut auf die Leinwand zu kommen, wenn er sich radikal neu verkauft. Das gegenwärtige Kinopublikum ist wenig aufgeschlossen für Filmgeschichte. Es ist daher nicht leicht, für einen 22 Jahre alten Film Interesse zu wecken, noch dazu, wenn er vom Vietnamkrieg erzählt, also von einer Epoche, die für die jugendlichen Kinobesucher sowohl in Amerika wie in Europa in die "Steinzeit" gehört. Wer hat da gegen wen gekämpft?, fragen viele junge Europäer. Das war doch der Krieg, den Rambo für die USA gewonnen hat, mögen viele junge Amerikaner denken. Die PR des Neustarts von <kursiv_import>Apocalypse Now Redux</kursiv_import> kann solche Barrieren vielleicht durchbrechen und Interesse für ein wichtiges Kunstwerk wecken.
Lichtspiel und Hörspiel
Dieser Film braucht unbedingt die Leinwand. Sie ist das einzige Medium, das seinen Licht-Bildern gerecht wird. Nie war das Wort vom Lichtspiel so gerechtfertigt wie für die Kameraarbeit von Vittorio Storaro. Sie löst, ganz im Sinn des inhaltlichen Programms von Coppola, konkretes Geschehen in irreale Lumeniszenz auf. Das kommt jetzt erst in der digitalen Neubearbeitung mit neu hinzugefügten Naturstimmungen auf den Riesenwänden der Multiplexe richtig zum Ausdruck. 1979 dagegen war die Zeit liebloser Projektion in Schachtelkinos. Ebenfalls eine neue Dimension für den Film eröffnet die fortgeschrittene Tontechnik. Denn <kursiv_import>Apocalypse Now Redux</kursiv_import> ist nicht nur Lichtspiel sondern auch Hörspiel. Die Tonspur ist höchst differenziert gemischt. Geräusche und Musikzitate (Dschungellaute, Helikoptergeknatter, Granateneinschläge, "The End" von den Doors, "Satisfaction" von den Stones) haben keine die Bildwirkung bloß verstärkende Funktion sondern sind eigenständig und wesentlich für die Interpretation.
Im Seelenkern: die Steinzeit
Die Interpretation des Vietnamkriegs durch Coppola ist zutiefst existentialistisch. Sie ist nicht vordergründig antimilitaristisch. Sie ist kaum politisch. Sie sagt vielmehr: Der Krieg führt den Menschen auf seinen innersten Kern zurück. Und dieser Kern ist hilflos einer Welterfahrung vor dem Primat der Vernunft ausgeliefert und atavistisch (Rückfall auf frühere Entwicklungsstufen der Menschheit). Er lässt den Steinzeitmenschen durch die dünne Schale der Zivilisation brechen.
Reise in den Wahnsinn
Die Filmhandlung illustriert diese These mit der Reise von US-Captain Willard über den Nam-Fluss. Er hat den Auftrag, den abtrünnigen Colonel Kurtz zu eliminieren, der im Dschungel ein Willkürregime errichtet hat. <kursiv_import>Apocalypse Now Redux</kursiv_import> ist eine Reiseerzählung. Aber jede Station dieser Reise ist eine Station des Wahnsinns. Auch die beiden neuen Sequenzen, die in den Film eingefügt wurden, beschreiben Haltepunkte an solchen Stationen.
Das Hospital im Regen
Die erste dieser neuen Stationen ist eine Art Dschungelhospital in prasselndem Tropenregen. Dort ist der Helikopter mit den Playmates niedergegangen, die mit ihrer Show zuvor die GIs aufgegeilt hatten und vor deren Zudringlichkeit fliehen mussten. Mit zwei der Mädchen versuchen die Leute von Willards Bootsmannschaft Liebe zu machen. Aber die Mädchen sind psychisch völlig verstört. In einem Koffer führen sie eine Leiche mit sich. Das Dschungelhospital im Regenschlamm ist ein Ort äußerster Absurdität, wie ihn Samuel Beckett entworfen haben könnte. Eigentlich sind wir schon da im Herzen der Finsternis angekommen.
Einer, der liebt und einer, der killt
Die zweite neue Station wirkt dagegen wie ein verlorener Hort der Zivilisation. Das Boot landet an einer alten französischen Plantage. Hier unterbricht Coppola die Reise ins Absurde mit einem politischen Akzent. Die kolonialistischen Franzosen, bereits 1954 vom Vietcong besiegt, sagen den Amerikanern bei einem feierlichen Abendessen, sie hätten hier nichts verloren, sie kämpften nur für ein großes Nichts, sie hätten nicht aufgebaut, im Gegenteil, sie hätten den Vietcong zunächst finanziert, der jetzt ihr Feind sei. Aber auch diese Sequenz endet nicht im politischen Diskurs, sondern legt eine Sonde in die Seele. Eine französische Witwe, die mit Willard Opium raucht und zärtlich ist, verweist ihn auf seine zwei Identitäten: eine die liebt und eine die mordet. <kursiv_import>Apocalypse Now Redux</kursiv_import> führt die Wesen ein, die <kursiv_import>Apocalypse Now</kursiv_import> gar nicht kannte: Frauen.
Im Herz der Finsternis
Die Opium-Szene könnte bestätigen, was viele von dem Film sagen: Er sei die Visualisierung eines Drogen-Trips, weil auch der Vietnamkrieg ein Drogenkrieg war. Doch <kursiv_import>Apocalypse Now Redux</kursiv_import> ist eher die Visualisierung eines schamanischen Rausches. Denn die Reise führt schließlich aus der Zeit heraus. Ein Mitglied der Bootsbesatzung wird von einem Speer getötet. Im Lager des Colonel Kurtz sind die meisten Menschen nackt und tragen magische Bemalungen. Die Reise endet in der archetypischen Welt des Schriftstellers Joseph Conrad, dessen Novelle "Herz der Finsternis" Coppola zur Folie seines Films genommen hat.
Schuld und Sühne
In der neuen Version bekommt Kurtz (dargestellt von Marlon Brando) mehr Szenen als in der ersten Fassung. Das macht die Figur aber nicht klarer. Sie ist einerseits der Vernunft verhaftet, die auf die groteske Doppelmoral von Existenz und Krieg verweist. Andererseits ist sie als mystisches Schattenwesen inszeniert. Klarer wird nur, dass es Kurtz ist, der Willard aus dem Gefängnis befreit und so quasi Selbstmord begeht. Aber wenn Willard ihn mit einer Machete abschlachtet, ist das ein Opfer (in Parallelmontage wird ein Stier rituell erschlagen). Und ein Opfer hat den Sinn, von Schuld zu entsühnen: von der Schuld des Mörders Kurtz und von der Schuld des Soldaten Willard, der dem Morden keinen Einhalt gebot – und von der Schuld aller in die Verstrickungen dieses Krieges.
Die Maske der Gottheit
Doch es sieht nicht so aus, als würde Willard durch den Tötungsakt frei. Er tauscht nur die Identität mit Kurtz. Zwar legen in <kursiv_import>Apocalypse Now Redux </kursiv_import>seine "Untertanen" die Waffen vor ihm nieder. Doch die Szene wirkt nur traumhaft, nicht pazifistisch. Dann geht Willard aufs Boot zurück. Er fährt in den Schatten und sein Gesicht verschmilzt mit der Maske einer Gottheit. Das ist der Schluss, den Francis Ford Coppola für diese wohl endgültige Version gewählt hat. Er beendet mit einem mythischen Bild einen Film, der nicht zu begreifen ist, wohl aber zu erfühlen.