Das Interview führte Margret Köhler.
Mit Das Meer in mir wagen Sie sich an ein sehr brisantes Thema. Hatten Sie sich vorher schon mit dem Komplex Sterbehilfe oder mit selbstbestimmtem Tod beschäftigt?
Der Aufsehen erregende Fall von Ramón Sampredo ging damals durch alle Zeitungen, sein Schicksal hat mich irritiert, berührt und neugierig gemacht. Nach der Lektüre seines Buches, wollte ich mehr erfahren. Er schrieb über das Leben, die Liebe und den Tod – drei Dinge, die unsere Existenz determinieren. Ganz langsam habe ich mich dann der Figur angenähert und versucht, sie zu verstehen. Freunde erzählten mir von Sampredos Liebesgeschichten, der Beziehung zu seiner Familie und von seinen Träumen. Und irgendwann war mir klar, dass ich diesen Film einfach machen musste.
Stimmen diese Liebesgeschichten überhaupt?
Mich plagten erst auch Zweifel, aber seine Wirkung auf völlig verschiedene Frauen ist verbürgt. Eine Art Harem umgab ihn, einige Frauen wollten ihn heiraten. Da ist Rosa, eine attraktive Frau, die mit dem Leben nicht zurechtkam und in ihm jemanden fand, dem sie etwas geben konnte, dann seine Schwägerin und Komplizin Manuela, mit der er sich wunderbar verstand, und Julia, mit der ihn ein ganz besonderes Gefühl verband, in deren Figur ich einige weitere reale Charaktere komprimiert habe. Sie alle sublimieren ihre Liebe. Für Ramon ist das eine intellektuelle Beziehung, körperliche Liebe war unmöglich. Dieser Film zeigt auch die verschiedenen Bedeutungen von Liebe und Zärtlichkeit.
Der Tod von Ramón Sampredo 1998 entfachte die Diskussion um Sterbehilfe. Inwieweit führte Ihr Film zu erneuten Kontroversen?
Natürlich wusste ich, dass ich mit diesem Thema in ein Wespennest stechen würde, aber ich war mehr an den menschlichen Beziehungen und den Gefühlen interessiert. Durch den Film flackerten noch einmal heiße Debatten auf, die in dem Vorwurf gipfelten, wir würden Ramón als Helden darstellen, dabei sei er doch nur ein Feigling – eine Argumentation, die mich wütend macht und der ich nicht folgen kann. Dieser Mann beweist Mut und zieht Konsequenzen, ist weder ein Krimineller noch ein Feigling.
Wie haben Sie recherchiert und Sampredos Familie von Ihrem Anliegen überzeugen können?
Die Angehörigen zeigten sich erst sehr skeptisch. Nordspanier lassen auch wenig von sich heraus und sind Fremden gegenüber sehr reserviert. Anfangs habe ich ihnen gesagt, dass ich noch nicht sicher sei, ob ich mich auf den realen Fall konzentriere oder einen rein fiktionalen Film drehe. Aber nach all den Anekdoten, die sie mir erzählten und den Informationen durch Briefe, Petitionen und Eingaben, mit denen Ramón das Recht auf einen selbstbestimmten Tod einforderte, fand ich die Vorstellung von reiner Fiktion absurd. Gemeinsam mit Mateo Gil habe ich das Drehbuch verfasst. Da der Film auch von noch lebenden Personen handelt, mussten wir aufpassen, keine Gefühle zu verletzen. Die letzte Drehbuchfassung haben wir allen Beteiligten vorgelegt und ihre Zustimmung erhalten.
Sie vermeiden größtenteils Rückblenden.
Ich bin kein großer Freund von Rückblenden, sie unterbrechen den Fluss der Geschichten und holen die Zuschauenden aus der Emotionalität heraus. Ich konzentriere mich lieber auf das, was ich erzählen will. Wir hatten schon genug mit der nicht-chronologischen Struktur bei Ramóns juristischem Kampf zu tun.
Die Kamera fliegt quasi aus dem Fenster hinaus zum Meer. Was bedeutet das?
"Das Meer in mir" hieß eine Zeile aus Ramóns Gedichten. Und dahin geht seine Sehnsucht. Deshalb hatten wir auch zwei Fenster. Sie funktionieren als Öffnung zur Welt, in der er auf eine innere Reise geht. Durch die Kamerafahrten kann ich die Zuschauenden auf diese Reise mitnehmen.
Sie zeigen die Todesszene sehr drastisch.
Wir haben lange überlegt und die Szene zunächst herausgeschnitten. Es ist quälend, wenn dieser Mensch 15 Minuten leidet. Wir haben nur vier Einstellungen gedreht, mehr schaffte auch Javier Bardem psychisch nicht. Das ganze Team war hinterher total fertig. Dann haben wir die Szene doch wieder hineingenommen, mit dramatischer Musik unterlegt und auf der Bildebene mit der Vergangenheit verbunden. Das schwächt die Brutalität etwas ab. Ich habe das Originalband von Sampedro gesehen: ein Schock.
Warum vermeiden wir im Alltag gerne das Thema Tod?
Es passt nicht in die junge, dynamische Welt, die uns vorgegaukelt wird. Wir sollten den Tod nicht verdrängen, aber auch nicht rund um die Uhr daran denken.
Trotz des traurigen Sujets gibt es sehr viel Humor in Ihrem Film.
Humor ist ein Strohhalm, an den wir Menschen uns klammern. Ramón wurde uns als jemand geschildert, der gerne lachte und sich selbst über den Tod lustig machte. Wie es innerlich aussah, steht auf einem ganz anderen Blatt. Er lernte, lachend zu weinen.
Welches Konzept liegt der von Ihnen komponierten Filmmusik zugrunde?
Ich habe mich erst nach dem letzten Schnitt endgültig entschieden. Ramóns Liebe zur Musik inspirierte mich zu drei Hauptthemen – für Ramón, Julia und Rosa. Rosa stand für keltische Musikeinflüsse, Julia für symphonische Musik und bei Ramón mischen sich beide. Musik war neben dem Lesen die einzige Möglichkeit für ihn, sich in eine andere Welt zurückzuziehen.
Ramón äußert an einer Stelle: "Wer mich wirklich liebt, hilft mir zu sterben." Wie ist Ihre Position zur Sterbehilfe?
Meine Antwort kann nur ein jämmerlicher Versuch bleiben. Wer kann sich so eine schreckliche Situation vorstellen, jahrzehntelang ans Bett gefesselt zu sein und nur den Kopf bewegen zu können. Aber spontan würde ich das Leben vorziehen. Ich bin Agnostiker und reflektiere über das Leben, nicht über den Tod. Die eigentliche Frage heißt aber: Sollen oder dürfen andere über mich bestimmen? Jeder Mensch sollte das Recht haben, für sich zu entscheiden.