Das Gute und das Böse
(Über den Film Im Körper des Feindes)
Filme, die dem Zuschauer "unter die Haut gehen", sind gefragt. Hollywood versteht sich darauf, Filmstoffe so zu entwickeln, dass beim Zuschauer Mythen und Märchen und archaische Muster aus dem Unterbewusstsein auftauchen und die eigentliche Filmhandlung überlagern und vorantreiben. Ein in der amerikanischen Massenkultur besonders häufig aufgegriffener Mythos ist die Annahme, das Gute und das Böse würden sich im Menschen auf ewig bekämpfen. In der abendländischen Kultur hat dieser sich dem Mythos des Sündenfalls zufolge jedoch für das Aufbegehren (gegen ein göttliches Gebot), für die menschliche Freiheit und für die Erkenntnis (seiner selbst) entschieden. Seit der Romantik und besonders in der Literatur der "Schwarzen Romantik" wird das Böse zu einer faszinierenden Potenz des Menschen, spielt die Verbindung von Verbrechen, Freiheit und Fähigkeit zur Selbstreflexion eine große Rolle. Wirklich 'frei' ist der Mensch (nach dieser Lesart) dann, wenn er seine Freiheit bewusst und mit Lust (!) für das Böse nutzt, wenn er Moral und Ethik als Konstrukt der 'Schwachen' verachtet und sich selbst im Spiel und/oder im Verbrechen neu erschafft. Ein Teufel in Menschengestalt also.
Für das Genre des Actionfilms hat diese komplexe Interpretation des Bösen bislang keine Rolle gespielt. In der Regel stehen sich Gut und Böse archaisch, monolythisch gegenüber. Und wie auch die Geschichte angelegt ist, im Kern geht es in diesen Filmen immer nur um Action, um Zerstörung. Auch in John Woos Film Im Körper des Feindes fliegt einiges in die Luft, bersten Gebäude, krachen Schiffe ineinander, wirbeln Körper umher, furios choreografiert und perfekt in Szene gesetzt, ein prasselndes Feuerwerk für Augen und Ohren. Menschen sterben wie die Fliegen, fast unbemerkt verschwinden sie im Feuerhagel der Explosionen. Sie sind nicht wichtig im elementaren Kampf des Guten mit dem Bösen, in dem nach den Regeln des Genres am Ende das Gute zu siegen hat. Doch Gut und Böse kommen sich in seinem Film gefährlich nahe, sie sind wie Brüder, wie zwei Seiten einer Medaille.
Castor Troy, ein Superterrorist, ist für den FBI-Agenten Archer ein solcher Teufel in Menschengestalt, seit er dessen Sohn getötet hat. Archer will Rache wegen seines zerstörten Lebens nehmen, das ihn von seiner Frau und seiner pubertierenden Tochter entfremdet hat. Das Ziel scheint erreicht, als nach einer wilden Verfolgungsjagd Pollux, der Bruder Castors, gefangen wird und Castor selbst angeblich tot in den Trümmern liegt. Doch irgendwo in Los Angeles haben die Brüder eine Giftgasbombe aktiviert. Archer wird zu einer riskanten 'Operation' gedrängt: Da Castor nur im Koma liegt, will man Archer vorübergehend das Gesicht seines Feindes transplantieren, um ihn als 'Castor' in das Hochsicherheitsgefängnis zu Pollux einzuschleusen, der allein weiß, wo die Bombe versteckt ist. Die Operation gelingt. Doch Castor erwacht aus dem Koma und zwingt die Ärzte, ihm Archers Gesicht zu geben. Damit wird der Actionfilm zum Psychothriller.
Der Spruch "Wenn du deinen Feind besiegen willst, musst du werden wie er" wird nun in extenso durchgespielt, ohne die Folgen zu verdrängen. Aus dem Verbrecherjäger wird selbst ein Verbrecher, weil er die Jagd zu ernst nimmt. Archer kann als Castor im Gefängnis nur überzeugen, wenn er dieselbe eruptive Brutalität entwickelt, die Castor auszeichnet. Umgekehrt kann auch Castor mit Archers Gesicht nicht in sein altes Leben abtauchen, wird auch er zur Mimikry gezwungen. Unterdessen sitzt der wirkliche Archer nicht nur im inneren Gefängnis des falschen Körpers, sondern auch machtlos hinter Gittern und malt sich aus, wie dieser Teufel seine Familie malträtiert. Genau das geschieht aber nicht. Das schreckliche Szenario – im Kopf des Zuschauers nahm es bereits Gestalt an – entwickelt sich im Film anders. Castor krümmt der Familie kein Haar, sein Spiel ist viel perfider. Er zeigt als 'Archer', was diesem mangelt: Sinnlichkeit, Charme und die Leichtigkeit des Spiels. Der alte Archer war spröde und verstockt; der neue ist ein Sympathieträger. Die Kollegen vom FBI, selbst Tochter und Ehefrau sind mit dem falschen Archer zufrieden. Lustvoll untergräbt und ruiniert Castor so Archers Identität, und keiner merkt es. Natürlich wendet sich am Ende einer gigantischen Materialschlacht und nach einem langen Show-down der beiden Titanen in sakraler Kulisse alles zum Guten. Archer erhält sein Gesicht, seinen Körper, seine Familie, seinen Job, sogar einen Sohn zurück. Doch die Frage drängt sich auf, was die Identität einer Person noch wert ist, wenn es einen Bluttest braucht, um sie zu erkennen?
Indem der in Hongkong aufgewachsene, katholisch erzogene Chinese John Woo in seinem amerikanischen Actionfilm die bisher unverwechselbare Identität des Menschen (die realiter auch durch die neue Genforschung gefährdet scheint) in Frage stellt und die fein säuberliche Unterteilung von Gut und Böse ad absurdum führt, lässt sich auch die alte Weltordnung nur noch mit dem aufgesetzten Happy-End einer idealen Familie retten.
Autor/in: Claudia Brenneisen, 12.12.2006