Nach fünf im Urwald gehört zu den Überraschungshits dieses Jahres. Nach dem Publikumserfolg auf den Internationalen Hofer Filmtagen 1995 kam der Film ins Kino und erreichte rund 550.000 Zuschauer. Er ist eine Komödie, auch wenn der Regisseur das bestreitet, aber weit entfernt von den typischen seichten 'Beziehungskisten'. Mit augenzwinkernder Ironie erzählt Schmid von den Höhen und Tiefen des Erwachsenwerdens und Erwachsenseins. Da gibt es – wie in jeder Familie – Krach, wenn die 17-jährige Anna zu spät nach Hause kommt , weil sie Freiheit schnuppern und erste Erfahrungen in Sachen Liebe mit den Jungen von nebenan machen möchte. Dennoch geben sich ihre Eltern tolerant (vor allem Vater Wolfgang). Zu Annas Geburtstag fahren sie weg und lassen das Mädchen mit Freunden feiern. Als die Eltern am nächsten Morgen nach Hause kommen, trifft sie fast der Schlag: pennende und zugedröhnte Teenager, der Teppich verhunzt, im Eisschrank ein Rettich kunstvoll in Penisform geschnitzt, ein Stück Haschisch und - das ist das Schlimmste – Papas Lieblingsplatte zerbrochen. In seinem Zorn rutscht ihm die Hand aus, er verbietet der Gitarre spielenden Tochter, zur Aufnahme eines Werbespots nach München zu fahren. Trotzdem macht sich Anna samt Gitarre in die Großstadt auf, chauffiert von ihrem verklemmten Schulkameraden Simon. Im Filmstudio interessiert sich niemand für ihre Version von Janis Joplin`s "Mercedes Benz", die nächtliche Odyssee mit coolen Typen durch die Isarmetropole beraubt sie aller Illusionen im Showgeschäft und in der Liebe. Unterdessen suchen die besorgten Eltern Münchens Tanztempel ab und treffen auf Simons Eltern. Die gestressten Paare tun sich zusammen, verbringen die Nacht in der Wohnstube mit Diskutieren, Trinken, Tanzen, auch der Joint mit Annas Haschisch macht die Runde. Bei ihrer Rückkehr am nächsten Morgen haben sich die Verhältnisse umgedreht. Die Wohnung ist ein 'Saustall' und Anna sorgt für Ordnung. Und plötzlich herrscht Verständnis zwischen den Generationen. Der Abnabelungsprozess wird zwar weitergehen, aber ein erster Schritt zur Wiederannäherung der Standpunkte und zum gegenseitigen Verständnis der unterschiedlichen Erwartungshaltungen ist gemacht.
Hans-Christian Schmid erzählt locker und unverkrampft eine Alltagsgeschichte vom Generationenkonflikt, vom Unverständnis der '68er-Eltern für ihre '89er-Kinder. Er verknüpft geschickt die zwei Handlungsstränge – Annas Ausflug in die Großstadt und das Jugend-Revival der Eltern. Es passiert nichts Spektakuläres oder Aufregendes, sondern viel Beiläufiges, Normales, Bekanntes, aber die Geschichte ist flott, erfrischend und unprätentiös erzählt. Anfang und Ende des Films ähneln sich. Vater Wolfgang kandidiert für das Bürgermeisteramt und will an Annas Geburtstag dem Fotografen für den Wahlkampf eine harmonische Familie präsentieren, obwohl es darin bereits kriselt. Nach durchzechter Nacht posieren sie noch einmal, aber da legt Vater Wolfgang gar nicht mehr so großen Wert auf äußeren Schein. Behutsam lässt Schmid seine Protagonisten neue Erfahrungen machen und alte wieder aufleben; er setzt auf Situationskomik, ohne die Helden bloßzustellen. Da meint es beispielsweise die Mutter gut und stellt sich vor, es gäbe nichts Schöneres als eine Party im Keller, wo die Heranwachsenden nichts beschädigen können. Auf ihre Alltagsroutine fixiert, schiebt sie noch schnell die Wäsche in die Waschmaschine, die endlos vor sich hinschleudert, während die Gäste sich langweilen. Der Vater verdammt die Sexualität seiner Tochter, hat aber seinerzeit in ähnlichem Alter seine zukünftige Frau verführt.
Anna erkennt bei der Suche nach ihrer Identität außerhalb der Familie, dass ein Ortswechsel allein nicht für die Erfüllung des Traumes vom anderen Leben genügt. Und wenn die Eltern in Jugenderinnerungen schwelgen und ihre Sturm- und Drangzeit als "besser" glorifizieren, benehmen sie sich genauso wie die Jugendlichen.
Nach fünf im Urwald gehört damit zu den wenigen Komödien, die wirklich funktionieren und Alt und Jung ansprechen, weil Menschen aus Fleisch und Blut agieren, mit liebenswürdigen Fehlern, Schwächen und Stärken.
Autor/in: Margret Köhler, 01.11.1996