Das dänische Pflegeheim Dagmarsminde, idyllisch gelegen inmitten von Feldern, Wald und Wiesen, sticht durch sein einzigartiges Pflegekonzept hervor. Seine Gründerin und Leiterin May Bjerre Eiby nennt es "Umsorgung": Statt Ruhigstellung und Medikamenten gibt es für die elf demenzkranken Bewohner/-innen Kuchen und auch mal ein Gläschen Sekt, freundliche Berührungen und immer ein offenes Ohr. Die engagierten Pflegerinnen kümmern sich mitfühlend, respektvoll und mit unendlich viel Geduld um die alten Menschen, denen generelle Fähigkeiten und Gedächtnis zunehmend verloren gehen – was zuweilen zu Konflikten und emotionalen Ausbrüchen führt. Obwohl das Heim nicht mehr Mittel zur Verfügung hat als andere und seine Bewohner/-innen nicht reich sind, bleiben in der vertrauensvollen, positiven Atmosphäre bei aller Pflegebedürftigkeit Lebensqualität und Würde erhalten. Und wenn wieder ein Mitglied der Gemeinschaft gestorben ist, dann wird ihm mit einem gemeinsamen Lied die letzte Ehre erwiesen.
Der Dokumentarfilm gibt Einblicke in den Alltag des außergewöhnlichen Pflegeheims und vermittelt einfühlsam, was es bedeutet, mit Demenz zu leben – für Patient/-innen, Pflegepersonal und Angehörige. Auf einen Off-Kommentar und
Interviews wird zugunsten begleitender Nähe und damit erzeugter Authentizität verzichtet. Die ruhige Kamera vermittelt in vielen
Groß- und Detailaufnahmen Intimität und Nähe zu den Menschen, ohne deren Privatsphäre und Würde zu verletzen. Ganz auf das positive Beispiel des alternativen Pflegekonzepts von Dagmarsminde fokussiert, übt der Film keine direkte Kritik am Gesundheits- und Pflegewesen, sondern setzt auf konstruktive Impulse. Gleichzeitig entstehen Empathie und ein besseres Verständnis sowohl für Demenzkranke als auch für die komplexe und verantwortungsvolle Arbeit in der Altenpflege – wie diese sein sollte, aber selten ist.
Was ist Demenz? Was heißt es, zu altern, krank, pflegebedürftig zu sein? Der Film lädt zur Auseinandersetzung mit (der eigenen) Sterblichkeit ein, gibt Denkanstöße zu Begriffen wie Menschenwürde und Wert des Lebens. Inwieweit ist das Pflegekonzept über die konkrete (Film-) Geschichte hinaus besonders/übertragbar? Wie ist der Pflegeberuf im Film charakterisiert? Entspricht dies den eigenen Vorstellungen und/oder der beruflichen Definition? Der Film nutzt den Stil des "Direct Cinema", verzichtet auf Kommentare und Interviews. Im Unterricht könnte man überlegen, was ein Voice Over-Kommentar zu den Bildern erzählen würde. Inwiefern würde dieses Stilmittel den Charakter des Films verändern? Wie lassen sich die Bilder beschreiben? Welchen "Effekt", welche Funktion haben die langen Kameraeinstellungen und Nahaufnahmen, der moderate
Schnittrhythmus, die sparsam eingesetzte Musik? Wofür stehen die Naturaufnahmen im Wandel der Jahreszeiten, die die Szenen mit Menschen im Heim ergänzen? (Sie stehen für den Kreislauf des Lebens, setzen den Zeitrahmen von einem Jahr.) Was vermitteln die privaten Aufnahmen, sogenanntes "Found Footage", die eine im Sterben liegende Heimbewohnerin als junge Frau zeigen? (Auch alte Menschen waren einmal jung.)
Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Ulrike Seyffarth, 01.09.2021, Vision Kino 2021.
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