In seinem neuen Film prangert der Dokumentarfilm-Regisseur Michael Moore die Missstände des privatisierten Gesundheitswesens in den USA an. Etwa 50 Millionen US-Amerikaner sind nicht krankenversichert, weil sie die hohen Beiträge nicht bezahlen können oder von den profitorientierten Versicherungsunternehmen wegen vorausgegangener Erkrankungen als unkalkulierbares wirtschaftliches Risiko abgelehnt werden. In
Sicko widmet sich Michael Moore vor allem jenen Patienten/innen, die trotz ihrer Beitragszahlungen unzureichende oder keine Leistungen von den Versicherungskonzernen erhalten. Dadurch können gerade chronisch Erkrankte in eine materielle Notsituation geraten und gesellschaftlich ausgegrenzt werden. Aber auch Krankenhäuser und Ärzte zeigt Moore als oftmals gewinnorientiert: Nicht zahlungsfähige Patienten/innen werden buchstäblich auf die Straße gesetzt, medizinische Gutachter/innen für die Krankenversicherungen lehnen gegen Bonus-Zahlungen kostenintensive, aber überlebensnotwendige Behandlungen ab. In einem historischen Rückblick stellt Moore das gegenwärtige Gesundheitssystem der USA als Erbe der Nixon-Ära aus den 1970-er Jahren dar.
Wie schon in seinen vorausgegangenen Filmen seziert der leidenschaftliche "Nestbeschmutzer" Moore die Miseren seines Heimatlandes gewohnt aufwieglerisch und polemisch, satirisch und streitbar. Und wie immer nimmt er es mit den Fakten nicht allzu genau. Als positive Alternativen zu dem privatwirtschaftlichen Modell der USA führt der Filmemacher die staatlichen Gesundheitssysteme in Kanada, Großbritannien und Frankreich an, ohne allerdings zu erwähnen, dass die kostenfreie Versorgung durch erhöhte Steuern finanziert wird. Im Filmfinale treibt Moore seine polemische Argumentation auf die Spitze, als er für eine Gruppe ehemaliger "9/11" Helfer/innen, die seit den Bergungsarbeiten am New Yorker "Ground Zero" an chronischen Atemwegserkrankungen leiden, für deren Behandlung sich ihre Versicherungen jedoch nicht zuständig fühlen, eine aberwitzige Reise zur US-Militärbasis Guantánamo-Bay inszeniert. Dort fordert er provokativ und natürlich vergeblich jene umfassende Gesundheitsversorgung für die Erkrankten ein, die den dort inhaftierten Terrorverdächtigen kostenlos zugestanden wird. Schließlich landen sie in einem Land, in dem scheinbar paradiesische Zustände herrschen: Ausgerechnet im sozialistischen Kuba werden die dankbaren US-Amerikaner umsonst behandelt und mit kostengünstigen Medikamenten versorgt.
Trotz seiner zum Teil fragwürdigen Methoden ist Michael Moore in
Sicko mit einer dynamisch geschnittenen Montage aus Interviews mit Betroffenen, Fernseh- und Filmausschnitten und schriftlichen Dokumenten ein unterhaltsamer, wenn auch sehr subjektiver sozialkritischer Film gelungen. Außergewöhnlich emotional in Szene gesetzt, vermittelt dieser als erster von Moores Filmen den Eindruck, dass dem Filmemacher das Ausmaß von Profitgier, Zynismus und Korruption im so genannten Turbo-Kapitalismus der USA persönlich schwer zu schaffen macht. Obwohl Moores Film nicht als ausgewogener, differenzierter Tatsachenbericht zu betrachten ist, bietet er zahlreiche Diskussionsansätze zu relevanten Themen, wie beispielsweise die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Gesundheits- und Gesellschaftssysteme.
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Autor/in: Stefanie Zobl, 08.10.2007