Hintergrund
Ohne Abseits - Fußballfilme
Als der Fußball nach Deutschland kommt, weicht er in kurzer Zeit Klassenunterschiede auf: Fabrikantensprösslinge akzeptieren einen Arbeitersohn in ihrer Mannschaft, gemeinsam kämpft man für ein großes Ziel:
den Ball ins Tor zu befördern. So jedenfalls inszeniert
Der ganz große Traum (Sebastian Grobler, Deutschland 2010) die in Wirklichkeit einstmals wohl eher bescheidene Ankunft des Fußballspiels im Jahre 1874 im Herzogtum Braunschweig. Aber die Produktion, in der Daniel Brühl den Fußballpionier Konrad Koch verkörpert, reiht sich damit ein in die lange Tradition des Fußballfilms. Der Fußball, so will es das Kino und so erzählt es auch
Der ganz große Traum, fördert Kameradschaft, Solidarität und Teamgeist, er überwindet die Gräben zwischen Arm und Reich, Alt und Jung, zwischen Religionen und Ethnien, ja sogar zwischen den Geschlechtern. Der Fußball nivelliert gesellschaftliche Unterschiede und integriert Außenseiter und Minderheiten. Das Spiel ist Zufluchtsort und Hoffnungsträger, eine Ersatzutopie, es steht bereit, wenn Gesellschaftstheorien und Ideologien versagen.
Selbstbehauptung und Integration
Nirgendwo wird das deutlicher als in einem der größten kommerziellen Erfolge in der Geschichte des Genres Sportfilm.
Kick it like Beckham (Gurinder Chadha, Großbritannien, Deutschland 2002) nimmt gleich eine Vielzahl dieser Aspekte auf und verbindet sie mit den Mitteln der britischen Sozialkomödie zu einer packenden Spielfilmhandlung.
Die 18-jährige Jess muss sich, um Fußball spielen zu können, gegen ihre aus Indien stammende Familie durchsetzen, die an ihren Traditionen festhalten will – ganz so wie die Schulkinder in Sebastian Groblers Spielfilm über Konrad Koch, deren Eltern ihnen die englische "Fußlümmelei" verbieten wollen. Der Fußball hilft Jess, die Emanzipation in ihrem Umfeld effektiv voranzubringen. Anhand der Figur des Familienvaters werden zudem Fragen der rassistischen Benachteiligung in Großbritannien thematisiert: Diesem misslang dereinst – trotz herausragender Fähigkeiten im typisch britischen Cricket – die angestrebte Integration. Im Fußballspiel, von der Regisseurin dynamisch im Stil von Videoclips
montiert, erlebt seine Tochter trotz ihres Migrationshintergrundes gesellschaftliche Toleranz und Gleichstellung.
Freiräume etablieren
Die Frauenemanzipation ist auch zentrales Thema in
Football under cover (Ayat Najafi, David Assmann, Deutschland 2008). Der
Dokumentarfilm begleitet ein Frauenteam aus Berlin-Kreuzberg auf seiner Reise in den Iran, wo es gegen das dortige Nationalteam antritt. In einer geschickt geschnittenen
Parallelmontage werden die beiden Mannschaften vorgestellt und ihre spezifischen Probleme, die sich bisweilen überraschend ähneln.
Denn so unterschiedlich die tatsächliche Lebenssituation für Frauen in beiden Ländern auch sein mag, wird der Sport jeweils zum Vehikel, um Freiräume zu etablieren. Die deutschen Mädchen, zum großen Teil mit Migrantionshintergrund, nutzen den Fußball auch, um sich gegen Väter und Brüder durchzusetzen. Für die iranischen Spielerinnen ist jeder einzelne Tritt gegen den Ball schon ein Protest gegen ihre in der islamischen Republik sogar verfassungsrechtlich manifestierte Marginalisierung. Dass das Spiel gegen alle Widerstände stattfinden kann, ist für eine der Spielerinnen der Beweis, "dass jeder Traum in Erfüllung gehen kann, wenn man nur hartnäckig genug träumt". Das Fußballmatch wird zum Signal für mehr Freiheit und Gleichberechtigung – und von den Filmemachern auch mit den entsprechend pathetischen Stilelementen von
Zeitlupe bis zur
Musikuntermalung inszeniert.
Solidarität und Gemeinsinn
Pathos ist auch die Grundstimmung von
Das Wunder von Bern (Deutschland 2003). Regisseur Sönke Wortmann erzählt einen deutschen Mythos mit Mitteln des Mainstream-Kinos: Der Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 wird zur symbolischen Geburtsstunde der Bundesrepublik. Die beiden Hauptfiguren, Vater und Sohn, stehen exemplarisch für das alte und das neue Deutschland, die im Moment des sportlichen Triumphs zueinander finden.
Vergangenheit und Zukunft werden miteinander versöhnt. Parallel dazu lebt die deutsche Mannschaft, von Sepp Herberger trainiert, demonstrativ die Ideale des Sports und siegt vor allem, weil sie eine Formel umsetzt: "Elf Freunde müsst ihr sein." Solidarität und Gemeinsinn, harte Arbeit und Aufopferungsbereitschaft: Glaubt man Wortmann, haben die Weltmeister gelebt, was den historischen Konrad Koch lange vorher dazu brachte, seiner Klasse den Fußball nahe zu bringen. Es sind dieselben Ideale, so interpretiert es Wortmann, die später Deutschland zum Wirtschaftswunderland gemacht haben. Ideale, die immer noch gelten, nur dass Bundesligatrainer und Motivationscoaches es heutzutage etwas anders formulieren: Der Star ist die Mannschaft. Die wirklichen Gründe für den wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik sind sicherlich komplexer, als es
Das Wunder von Bern nahelegt. Aber der Fußball wird durchaus funktional als Hintergrundfolie für Geschichtsschreibung benutzt.
Fußball als Ersatzrealität
Mit solch historischem Ballast müssen sich
Die wilden Kerle nicht herumquälen. Aber auch in den mittlerweile fünf Filmen der Reihe (Deutschland 2003 – 2008), die auf der Kinderbuchserie
Die wilden Fußballkerle des Regisseurs und Drehbuchautors Joachim Masannek beruht, finden sich immer wieder die bekannten Motive. Das Fußballspiel ist für die Figuren zuerst einmal ein Ort, an den sie vor ihrem Alltag und dessen Problemen flüchten können. Im Fußball sind, den Regeln sei Dank, die Dinge geordnet, während das Leben sich für die Heranwachsenden zusehends komplizierter darstellt. Innerhalb des Sicherheit gebenden Regelwerks aber können verschiedene Fantasien und Wunschvorstellungen durchgespielt werden, verwandelt sich das Spiel immer wieder in eine Ersatzrealität, in der die Kicker Rollen einnehmen wie in einem Fantasy-Film oder einem Computerspiel. Vor allem aber prägt die Reihe eine Idee: Erst im Team, unterstützt von anderen, kann der Einzelne seine Stärken wirklich ausspielen. Konflikte werden entweder stellvertretend auf dem Spielfeld austragen oder dauerhaft gelöst, indem die Kontrahenten durch das gemeinsame Spiel Fairplay und den Teamgedanken auch für die Welt jenseits des Spielfeldes verinnerlichen. Eine Idee, die einstmals Konrad Koch dazu brachte, das Fußballspiel zusätzlich zum eher individualistischen Turnen als Schulsport einzuführen.
Der ganz große Traum mag es ansonsten mit den historischen Tatsachen nicht immer allzu genau nehmen: Diese Ausgangsidee seiner Hauptfigur aber propagiert der Film so leidenschaftlich, wie der echte Konrad Koch es vor mehr als 130 Jahren getan hat.
Autor/in: Thomas Winkler, 25.01.2011
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