Zur Weihnachtszeit 1962 kam
Der Schatz im Silbersee in die westdeutschen Kinos. Sein Erfolg löste eine Welle von sogenannten "Indianerfilmen" aus, die zunächst die Bundesrepublik und wenig später auch die DDR erfasste. Zwischen den Produktionen der beiden Staaten gab es grundlegende Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten. Während die zumeist auf Büchern von Karl May beruhenden westdeutschen Filme in einer märchenhaften Welt moralischer Eindeutigkeit angesiedelt waren, bemühten sich die aus der DDR um Genauigkeit im Sinn des marxistischen Geschichtsbildes. Doch auch sie griffen auf Muster des Hollywood-
Westerns zurück. Das Stereotyp der "Indianer" spiegelte die gesellschaftliche Ordnung wider, lieferte aber gleichzeitig eine Projektionsfläche für exotistische Fantasien.
Der Erfolg von
Der Schatz im Silbersee war bemerkenswert, weil der bundesdeutsche Film Anfang der 1960er-Jahre in einer Absatzkrise steckte. Horst Wendlandt, der ihn mit der Firma Rialto Film produziert hatte, ließ acht weitere Filme folgen, darunter die
Winnetou-Trilogie (1963-1965),
Unter Geiern (1964) und
Der Ölprinz (1965). Auch der Berliner Produzent Artur Brauner stieg mit seiner CCC Film in das Karl-May-Geschäft ein. Für
Old Shatterhand (1964) gelang es ihm, die Hauptdarsteller aus Wendlandts Produktionen zu verpflichten: Lex Barker als Old Shatterhand und Pierre Brice als Winnetou. Den letzten Film der
Winnetou-Serie, W
innetou und Shatterhand im Tal der Toten (1968) produzierte abermals Brauner, nachdem Rialto Film die Dreharbeiten abgebrochen hatte. Der Star von
Der Schatz im Silbersee war noch der Amerikaner Lex Barker gewesen, der den Tarzan in einer Reihe von Hollywood-Filmen gespielt hatte. Doch schnell wurde der Franzose Pierre Brice als "Häuptling" der Apachen zum Markenzeichen der Serie. Auf der Kinoleinwand verlieh er der Romanfigur des Winnetou Gestalt und Gesicht.
Winnetou II (BRD, F 1964) mit Pierre Brice (2. von links) in der Titelrolle (© picture-alliance / KPA)
In der DDR war von der Karl-May-Welle zunächst wenig zu spüren. Nach dem Mauerbau erschien der Westen ferner denn je, Karl May entsprach nicht der Staatsideologie und wurde nicht mehr verlegt. Doch in den Kinos der ČSSR ließ sich ein Blick auf die Leinwandhelden des Westens werfen, besonders ostdeutsche Jugendliche nutzten diese Gelegenheit. Angeregt von den westdeutschen "Indianerfilmen" und um diesen die eigene Version entgegen zu setzen, produzierte das volkseigene Filmunternehmen DEFA 1966
Die Söhne der Grossen Bärin. Der Film, der zeitgleich mit einer umfassenden Verbotswelle politischer Filme in der DDR erschien, basierte auf einem Roman der Historikerin und Schriftstellerin Lieselotte Welskopf-Henrich. Für den nächsten Film,
Chingachgook, die große Schlange (1967), der die Ausbeutung der indigenen Bevölkerung thematisierte, diente James Fenimore Coopers Roman "Der Wildtöter" ("The Deerslayer", 1841) als Vorlage. Das Bemühen um historische Genauigkeit und authentische Ausstattung zeichnet auch die weiteren "DEFA-Indianerfilme" aus. Filme wie
Spur des Falken (1968),
Weiße Wölfe (1969),
Tödlicher Irrtum (1970),
Blutsbrüder (1975), oder
Atkins (1985) verweisen mehr oder weniger genau auf konkrete historische Ereignisse. In
Osceola (1971),
Tecumseh (1972),
Apachen (1973) und
Ulzana (1974) werden historische Persönlichkeiten zu Protagonisten.
Blauvogel (1979) handelt vom Schicksal eines bei Irokesen aufwachsenden Jungen. Da man den Begriff "Western" nicht verwenden wollte, nannte die DEFA ihre Produktionen "historische Abenteuerfilme im Milieu der Indianer". Auch hier gab es einen Star, den Jugoslawen Gojko Mitić, dessen durchtrainierter Körper in der DDR eine ähnlich emblematische Funktion hatte wie die sanftere Physiognomie seines Pendants im Westen. Zuvor hatte Mitić bereits in vier bundesdeutschen "Western" mitgewirkt.
Mit den realen Native Americans hatten die
Winnetou- und die DEFA-Filme wenig zu tun, umso mehr aber mit den Vorstellungswelten der Gesellschaften, die sie hervorbrachten. Um "Indianer/-innen" einigermaßen glaubwürdig auf die Leinwand zu bringen, genügte zumindest aus Sicht der Filmschaffenden offenbar schon ein etwas dunklerer Hauttyp. In beiden Staaten orientierte sich die Darstellung an rassistischen Klischees und
Genre-Konventionen. Allerdings gab es bei der DEFA Abweichungen von diesem Muster. Der wichtigste Unterschied findet sich auf der Ebene der Filmerzählung: In den DEFA-Filmen geht die Gewalt stets von den "weißen" Eindringlingen aus. So zeigt Apachen ein von Euroamerikanern angerichtetes Massaker an Native Americans und die darauffolgende Skalpierung der Opfer durch ihre Mörder. Auch in
Chingachcook sind es die "Weißen", die in großem Stil auf Skalpjagd gehen: eine Umkehrung des "blutrünstigen Wilden", die historisch belegbar ist. Darüber hinaus gibt es in vielen DEFA-Produktionen Darstellungen vom Alltagsleben der indigenen Menschen. All die Statisten und Statistinnen bei der Handarbeit, beim Herstellen von Werkzeugen und der Nahrungszubereitung werden jedoch stets überragt von einer einzelnen Heldengestalt, sei es Tokeiihto, Ulzana, Osceola oder Tecumseh. Auch ein anderes Stereotyp kam im Osten wie im Westen vor: Gleich ob "edle Rothaut" oder "blutrünstiger Skalpjäger" – als
vanishing race sind die "Indianer/-innen" schicksalhaft dazu verdammt auszusterben. Der
Voice-Over-Kommentar von
Der Schatz im Silbersee nennt es die "Tragik [einer] sich im Todeskampf noch einmal aufbäumenden Rasse". Was von den Europäer/-innen durch Vertreibung, Zerstörung der Ernährungsgrundlagen, eingeschleppte Krankheiten und Völkermord verursacht wurde, erschien so als naturgegebene Entwicklung – ganz im Sinne der Doktrin des
manifest destiny. Obwohl die DEFA-Filme diesen Zusammenhang aufdecken wollten, verfielen sie in dasselbe Muster. In der beständig fortschreitenden Gesellschaftsordnung des dialektischen Materialismus gab es ebenso wenig Platz für indigene Kulturen wie im Kapitalismus. Nicht zufällig stirbt der Titelheld von
Tecumseh, der historische Anführer einer indigenen Vereinigungsbewegung, einen allegorischen Tod im Gegenlicht der untergehenden Sonne.
Spur des Falken (DDR 1968) mit Gojko Mitić (Mitte) als Dakota-Anführer. Der mit großem Aufwand inszenierte DEFA-Film thematisiert die Vernichtung der Lebensgrundlage der indigenen Präriebevölkerung - das Abschlachten der Bisonherden durch die Kolonisatoren. (© DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer)
Die Karl-May-
Adaptionen der Bundesrepublik hingegen imitierten US-amerikanische B-Western. Zumindest in kommerzieller Hinsicht richteten sie sich an ein internationales Publikum und lieferten eine Anregung für die – künstlerisch bedeutsameren – Italo-Western. Für die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft bedeutete die Imitation Hollywoods einen Annäherungsversuch an die USA. Nach den Gräueltaten des Nationalsozialismus und den resultierenden – wenngleich verdrängten – Schuldgefühlen glaubte man sich nun auf der richtigen Seite. Die Problematik dieser Annahme zeigten die Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963-1965), in denen deutlich wurde, wie stark die bundesdeutsche Gesellschaft in ihre Nazi-Vergangenheit verstrickt war. Dieser Erkenntnis setzten die
Winnetou-Filme einfache Geschichten und klare Unterscheidungen von Gut und Böse entgegen. Zugleich boten sie Stoff für (Jugend-)Träume von einem anderen Leben. Diese Träume kollidierten im Jahr 1968, als der letzte Karl-May-Film
Winnetou und Shatterhand im Tal der Toten anlief, mit den konkreten politischen Forderungen der Studentenbewegung. Doch auch wenn sich Winnetou in seiner Verkörperung durch Pierre Brice angesichts des gesellschaftlichen Wandels als Gestalt des Kinos überlebt hatte, so hatte er sich im kollektiven Bewusstsein der Bundesrepublik festgesetzt – und erschien nun im Kreis der Familie auf der kleineren Bildfläche des Fernsehers, um von einer moralisierten Wildnis zu berichten.
Literatur
Frayling, Christopher (1981): Spaghetti Westerns: Cowboys and Europeans from Karl May to Sergio Leone. London: Routledge and Kegan Paul.
Kilpatrick, Jacquelyn (1999): Celluloid Indians: Native Americans and Film. Lincoln, NE/London: University of Nebraska Press.
Rollins, Peter C./John E. Connor (Hg.) (1998): Hollywood's Indians: The Portrayal of the Native American in Film. Lexington, KY: The University of Kentucky Press.
Wehrstedt, Norbert (1996): Indianerwestern made in GDR. In: I. König, D. Wiedemann und L. Wolf (Hg.): Zwischen Marx und Muck: DEFA Filme für Kinder. Berlin: Henschel Verlag, 55-69.