In Erich Kästners Roman
Der Gang vor die Hunde gibt die Erzählung ausschließlich die Wahrnehmung der Hauptfigur Fabian wieder. Unsere Videoanalyse zeigt, wie Dominik Graf in seiner Adaption versucht, dieses personale Erzählen filmisch umzusetzen.
Mindscreen – Subjektives Erzählen in Fabian oder der Gang vor die Hunde, Videoanalyse (Filmausschnitte, © Lupa Film/DCM)
Ausschnitt: „Fabian, Jakob. Dr. Hier steht‘s: Seit drei Jahren wohnhaft in der Schaperstraße 4...“
Germanist, Werbetexter und nun also: arbeitslos. 1931, mitten in der Wirtschaftskrise, lässt sich Fabian durch Berlin treiben – und der Film mit ihm.
Ausschnitt: „Sonntag Nacht: ‚Komm, wir fahren ins Kabarett der Anonymen‘, sagte Labude...“
Im Roman von Erich Kästner ist Fabian eine
Reflektorfigur: Die Erzählung gibt nur seine Wahrnehmung wieder, seine Gefühle, seine Gedanken.
In der Literatur heißt das: personales Erzählen. Oder, nach Gérard Genette:
interne Fokalisierung. Aber egal, wie man es nennt: Die Erzählung bleibt auf die subjektive Wahrnehmung der Hauptfigur beschränkt.
Wie kann ein Film subjektiv erzählen? Dafür gibt es zunächst zwei ziemlich einfache Tricks. Beide setzt der Regisseur Dominik Graf hier auch ein.
Trick Nummer 1: Eine Voice-Over-Stimme schildert Fabians Gedanken.
Ausschnitt: „Fabian dachte: Das wächst sich zum Beruf aus...“
Trick Nummer 2: Die
subjektive Kamera. Hier zeigt die Einstellung exakt die Perspektive von Fabian.
Ausschnitt: „Was soll ich denn jetzt machen?“ – „Watt weeß ick? Steine kloppen?“
Diese Techniken finden sich in
Fabian aber nur vereinzelt. Den ganzen Film nur aus Fabians Perspektive zu sehen und zu hören, wäre ziemlich ungewohnt. Tom Schilling muss der Hauptfigur ja auch ein Gesicht geben.
Dominik Graf hat deshalb eine komplexere Form gefunden, um von Fabians Innenwelt zu erzählen. Wir sehen jetzt die ersten 40 Sekunden einer Sequenz aus dem Film. Zunächst ohne Kommentar. Warum könnte man hier von subjektivem Erzählen sprechen?
SEQUENZ: Fabian als Türöffner
Als erstes fällt der hektische Rhythmus auf: Die Straßenaufnahmen sind schnell
montiert und mit Zeitraffer beschleunigt. Ständig wechselt die
Kameraperspektive. Fabian selbst wird mit einer unruhigen
Handkamera gefilmt. Die Wirkung dieser Bilderfolgen entspricht Fabians Grundgefühl: Nervosität.
Abrupt, für nicht mal eine Sekunde, sind an zwei Stellen
Rückblenden zwischengeschnitten. Der Blick auf Cornelia markiert sie als subjektive Erinnerung.
Auch die
Tonspur spiegelt Fabians Wahrnehmung: Ein platzender Luftballon klingt wie ein Schuss. Fabians Trauma vom Ersten Weltkrieg.
Diese filmische Form der Subjektivierung kann man als
Mindscreen bezeichnen. So, als würde Fabians Perspektive wie ein Filter über den Bildern und Tönen liegen.
Ausschnitt: „Er steckte die Münze ein, trat trotzig an den Straßenrand…“
Wenn Fabian auf die Straße schaut, sieht er in
Schwarz-Weiß das reale Berlin aus der Zeit des Romans:
Ausschnitt: „Wenn jetzt Labude vorbeikäme und den literarisch-historisch ausgebildeten Türöffner sähe...“
modern, politisch umkämpft, voller sozialer Gegensätze. Ein zeitgenössischer Blick, der sich von unserer historischen Perspektive unterscheidet.
Ausschnitt: „Fabian dachte: Das wächst sich zum Beruf aus…“