Seit 2006 arbeitet Armgard Wittich an der Waldschule Bogensee - eine von zehn Waldschulen der Berliner Forsten. Die inmitten eines ausgedehnten Waldgebietes nördlich von Berlin gelegene Einrichtung bietet Schulklassen, Familien sowie Kinder- und Jugendgruppen vielfältige waldpädagogische Angebote. kinofenster.de hat sich mit der Diplom-Forstwirtin über den Film
Die Eiche – Mein Zuhause unterhalten und sie zu ihren Erfahrungen in der waldpädagogischen Arbeit mit Kindern befragt.
An der Waldschule bringen Sie und Ihre Kolleg/-innen vor allem Kindern die Natur nahe. Welche Erfahrungen mit Bäumen und Wäldern haben Ihre jungen Besucher/-innen?
Die Kinder, die zu uns kommen, sind etwa zur Hälfte im Grundschulalter. Was ihre Vorkenntnisse betrifft – da gibt es die gesamte Bandbreite: Manche berichten uns, dass sie sehr oft im Wald sind, zusammen mit ihren Eltern oder den Großeltern. Und für manche ist es dagegen eine ganz neue aufregende Erfahrung, bei uns im Wald zu sein. Das ist häufig bei Kindern aus den Innenstadtbezirken von Berlin und verstärkt aus Familien mit Migrationsgeschichte. Hier spielen sicher auch kulturelle Aspekte eine Rolle, wenn es zum Beispiel im Herkunftsland der Familie nur wenig Wald gibt. In der Regel begeistern sich die Kinder erstmal am meisten für Tiere. Entsprechend kennen sie sich da auch besser aus als mit Baumarten. Aber es überrascht mich immer wieder, wie sehr sie dann ein Interesse für Bäume entwickeln.
Im Film Die Eiche – Mein Zuhause steht eine Stieleiche im Mittelpunkt. Wie finden Sie es, dass es jetzt diesen Kinodokumentarfilm gibt?
Ich finde es eine tolle Idee, einen Film mit einem einzelnen Baum als Hauptdarsteller zu drehen. Es wird so sehr anschaulich, was sich rund um eine Eiche abspielt. Auch die Tiere sind gut ausgewählt: Der Eichelhäher, das Eichhörnchen oder auch der Eichelbohrer haben einen unmittelbaren Bezug zur Baumart – den tragen sie ja schon im Namen. Und dass der Eichelbohrer als Sympathieträger so eine wichtige Rolle spielt – er ist ja so eine Art zweiter Protagonist – gefällt mir persönlich sehr. Er ist ein eher kleiner Käfer aus der Familie der Rüsselkäfer, der sonst viel weniger wahrgenommen wird als etwa der Große Eichenbock oder der Hirschkäfer. Der Film lädt also auch dazu ein, die Natur im Detail zu beobachten.
Welche Bedeutung haben Eichen für den Wald in Mitteleuropa – und speziell in Deutschland?
Eichen haben aktuell einen Anteil von etwa elf Prozent an den deutschen Waldflächen. Damit liegen sie hinter der Fichte, der Kiefer und der Buche. Sie ist also nicht die häufigste, aber eine sehr wichtige Baumart, die sehr haltbares Holz liefert. Eiche ist eine der teuersten Holzarten und schon deshalb forstwirtschaftlich interessant. Aber Eichen standen den Menschen in unserer Region auch schon immer besonders nahe: Der Baum hatte früher bei den Kelten und Germanen eine mythologische Bedeutung, und er wurde sehr vielfältig genutzt – nicht nur zum Bauen und Heizen. Mit den Eicheln wurden Schweine gemästet oder auch Eichelkaffee hergestellt und aus der Rinde Gerbsäure für die Lederherstellung gewonnen. Nicht zuletzt hat die Eiche aber auch eine große ökologische Bedeutung. Das zeigt sich schon darin, dass sie rund 400 Schmetterlingsarten und 100 Käferarten ein Zuhause bietet.
Wie stellt sich die Situation der Eichen angesichts des Klimawandels dar? Hat die Baumart in unseren Breiten eine Zukunft?
Auch die Eichen haben unter der Trockenheit der vergangenen Jahre gelitten – aber längst nicht in dem Maße wie etwa Fichten. Grundsätzlich kommt die Baumart sogar recht gut mit Hitze zurecht. Das gilt mehr noch für die Traubeneiche, die der Stieleiche aus dem Film sehr ähnlich sieht, aber mehr in hügeligeren und trockeneren Regionen beheimatet ist und es noch ein bisschen "kuscheliger" mag. Die grobe Rinde bietet Eichen einen wirksamen Schutz gegen hohe Temperaturen. Und ihre Pfahlwurzel, die nach dem Keimen der Eichel senkrecht nach unten schießt, reicht tief in Boden – das ist gut für die Wasserversorgung. Insofern hat die Eiche trotz des Klimawandels in Deutschland durchaus eine gute Perspektive.
Kommen wir auf den Film zurück: Die Eiche – Mein Zuhause ist sehr unterhaltsam inszeniert. Er arbeitet mit dramaturgischen Zuspitzungen und Verdichtungen. Wie sind die spannungsgeladenen Szenen aus Ihrer Sicht einzuordnen?
Die Actionszenen spitzen sicherlich zu, sie erfinden aber nichts, was es in der Realität nicht gäbe: Füchse jagen nun mal auch Mäuse, Habichte andere Vögel. Der Film vermittelt spannend, welchen Bedrohungen Tiere in der Natur ausgesetzt sind – ohne dabei zu verstören, denn jede Jagd hat hier ja ein Happy End aus Sicht des Gejagten. Das ist für mich völlig legitim. Abgesehen davon, finde ich, dass
Die Eiche genauso von ruhigen Bildern lebt, etwa wenn die Kamera
von unten in die Krone schaut: Mir hat das richtig Lust gemacht, mich mal wieder unter einen Baum zu legen! Und was mich sehr fasziniert, ist, dass der Film ohne Menschen vor der Kamera und ohne Kommentar auskommt. Der Film lässt sozusagen den Baum und seine Bewohner sprechen. Und viele Szenen zeigen auch, wie Tiere kommunizieren – zum Beispiel durch Warnrufe. Das ist authentisch.
Was kann der Film in Ihren Augen speziell mit Blick auf eine junge Zielgruppe bewirken?
Der Film nutzt einige Möglichkeiten, die wir an der Waldschule in dieser Form nicht haben: Er präsentiert eine große Vielfalt an Tieren, die man bei Ausflügen in den Wald nicht einfach mal so vorfindet. Er zeigt auch Dinge
aus der Nähe, die unserem Auge normalerweise verborgen bleiben – wie beispielsweise die Larven der Eichelbohrer unter der Erde. So etwas ist natürlich gerade für Jüngere höchst faszinierend. Aber auch, dass der Film keine Erklärungen mitliefert, macht ihn meiner Meinung nach für Kinder besonders interessant. Nicht nur in der Schule bekommen sie ja fast permanent etwas von Erwachsenen erklärt. Hier wirken nun Bilder und
Geräusche unmittelbar auf sie – das ist eine spannende Erfahrung, die neugierig macht.
Wo sehen Sie die Grenzen des Films bei der Naturvermittlung?
Ein Film ersetzt nie den Aufenthalt in der Natur. Denn er kann unmöglich alle Sinne ansprechen: Im Kino können wir den Wald nicht riechen, wir spüren keinen Wind, keine Sonne, keinen Regen, wir können nicht die Rinde, das Laub, den Waldboden anfassen oder darüber laufen. Für Kinder ist das sinnliche Erleben von Natur aber eine grundlegende Erfahrung, um ein tiefergehendes Interesse und Verständnis zu entwickeln. Deshalb legen wir in den Waldschule darauf großen Wert.
Wie können Kinder im Anschluss an den Film an das "Thema Wald" herangeführt werden?
Jede Baumart bildet ja eine eigene spezifische Gemeinschaft mit Tieren, Pflanzen und Pilzen. Insofern bietet es sich an, dass die Kinder auch andere Baumarten als die Eiche - etwa die Buche, die Kiefer oder die Birke - unter die Lupe nehmen und Baumsteckbriefe oder Baumporträts anfertigen. Das ist oft auch im Umfeld von normalen Schulen möglich. Besonders schön ist es aber natürlich, draußen im Wald einen kleinen Workshop zu veranstalten: Was findet man dort wieder, was im Film zu sehen ist? Was unterscheidet sich? Je nach Alter können die Kinder in kleineren Gruppen selbständig Recherchen durchführen. Mal ein wenig Zeit ohne Anleitung von Erwachsenen im Wald zu verbringen, das ist für viele Kinder eine wertvolle Erfahrung. Und aus meiner Arbeit kann ich sagen: Ist bei Kindern erstmal die Neugierde für die Natur geweckt, kommt das Wissen fast von alleine.