Filmemacherin Marie Wilke begleitet vier angehende Polizeibeamte, zwei Männer und zwei Frauen, durch ihr erstes Studienjahr an der Polizeischule. Die Nachwuchspolizist/innen stürmen Wohnungskulissen, müssen in schwerer Montur in Formation marschieren und pauken Paragraphen. Simulation und Theorie bestimmen den Alltag. Die distanzierten Beobachtungen ermöglichen ungewöhnliche Einblicke in die Ausbildung. Im Praktikum bei der Bereitschaftspolizei stellt sich schließlich heraus, dass der Unterricht die Auszubildenden kaum darauf vorbereitet hat, was sie Tag für Tag auf Streife erleben. Im Einsatz werden sie mit häuslicher Gewalt, sozialen Gegensätzen und Suchtproblemen konfrontiert. Dabei wirken sie oftmals eher wie Sozialarbeiter als wie Vertreter von Recht und Gesetz.
Staatsdiener gewährt einen Blick hinter die Kulissen des Polizeiapparates – ohne Kommentar und
Musik, dafür mit expliziten Momenten der Stille, wenn den Mitwirkenden selbst die Worte fehlen. Entstanden ist ein sachlicher, dennoch packender Dokumentarfilm, der von den Spannungen des Polizei-Alltags und den unterschiedlichen Charakteren der Protagonisten lebt. Im Gegensatz zu populären Reality-TV-Formaten versucht der Dokumentarfilm die Integrität der Bürger zu wahren. So wählt die Filmemacherin diskrete Tableaus, während die Polizist/innen im
Off Betroffene befragen. Durch den Einsatz der
Handkamera bekommen die Szenen im Einsatz eine größere Unmittelbarkeit. Daneben stellt Wilke private Gespräche und Interviews mit den Nachwuchsbeamten, in denen diese ihr Verhalten und ihre Erfahrungen kritisch hinterfragen.
Staatsdiener, Szene (© Zorro Film)
Polizisten werden heutzutage keineswegs nur als Freund und Helfer wahrgenommen. Bei vielen Bürgern haben sie das Image autoritärer Ordnungshüter, gleichzeitig boomen im Fernsehen Krimi-Serien.
Staatsdiener zeigt, wie groß die Lücke zwischen Fiktion und Realität tatsächlich ist. So erlaubt der Film eine Diskussion der Frage nach dem Verhältnis von Bürger und Staat. Indem sich Marie Wilke im Stile des
Direct Cinema auf die reine Beobachtung konzentriert, entstehen erhellende Einblicke in Struktur und Funktionsweise einer Institution, die der Öffentlichkeit normalerweise verborgen bleiben. Hier bietet sich ein Vergleich mit Dokumentarfilmen wie
Herr Wichmann aus der dritten Reihe oder
Beyond Punishment sowie den Filmen Frederick Wisemans an, die ebenfalls die Arbeit gesellschaftlicher Institutionen beschreiben. Für einen tiefergehenden Einblick in die Polizeiarbeit können Schulvorführungen auch in Kooperation mit örtlichen Polizeidienststellen angeboten werden.
Autor/in: Luc-Carolin Ziemann, 26.08.2015
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