Im nordmexikanischen Monterrey kämpfen kriminelle Gangs um die Vorherrschaft in der Stadt. Der 17-jährige Ulises versucht sich davon fernzuhalten. Gemeinsam mit seinen Freunden initiiert er Tanzwettbewerbe zu
Cumbia-Musik. Die
bunten Kleider und asymmetrischen Frisuren der Jugendlichen sind Teil ihrer Subkultur, deren Grundlage eine Neuinterpretation des klassischen kolumbianischen Tanzes ist. Als der Bandenkrieg eskaliert, wird Ulises ein Mordanschlag angehängt – er muss aus der Stadt und über die Grenze in die USA flüchten. Die unfreiwillige Reise führt ihn bis nach
New York, wo sich Ulises als Gelegenheitsarbeiter verdingt und durch das gesellschaftliche Raster fällt. Weder die dortige lateinamerikanische Community noch die 16-jährige Lin, die sich des Obdachlosen annimmt, bieten ihm eine Perspektive. Die Polizei findet Ulises im Klebstoffrausch auf der Straße und schiebt ihn in seine Heimat ab.
Regisseur Fernando Frías de la Parra gelingt es, dem Film
I'm No Longer Here durch viele
Rückblenden und Einschübe, einem besonderen Erzählrhythmus zu geben. Erinnerungen und Träume sind kontrapunktisch zu den nüchternen Bildern, die Ulises' Leben in New York zeigen. Die entrückten
Tanzszenen stehen häufig
ungeschnitten für sich, sie öffnen den Blick auf die kolumbianisch-mexikanische Subkultur und bieten eine utopische Gegenrealität zur allgegenwärtigen Gewalt. Trotzdem bleiben die existenziellen Probleme junger Menschen in der nordmexikanischen Grenzregion greifbar, deren Alltagsleben durch Gang- und Polizeigewalt gezeichnet sind. Frías de la Parra stellt in seinem Film die Brüchigkeit jugendlicher Lebensrealitäten, zumal jenen in marginalisierten Gemeinschaften, filmisch dar. Während in
Panoramaeinstellungen die Verlorenheit der Jugendlichen eingefangen wird, wird in Nahaufnahmen Ulises Entschlossenheit erkennbar, sich allein behaupten zu wollen. Die Kamera zeigt Ulises so als Verlorenen in der mexikanischen Heimat und im fremden Land. Die Cumbia-Musik verweist zudem auf Ulises kolumbianische Herkunft und symbolisiert deshalb Entfremdung und Heimat zugleich.
Auch aufgrund ihrer identitätsstiftenden Funktion, bietet sich die Cumbia-Kultur als Schwerpunkt einer Analyse im Spanisch- und Musikunterricht an. Eine fächerübergreifender Projektarbeit könnte sich etwa an den musikalischen Wurzeln der Cumbia als Mischform karibisch-indigener wie afrikanischer Rhythmen orientieren und deren aktuelle Entwicklungsformen in elektronischer Musik oder im Hip-Hop diskutieren. Ebenso ließen sich die sehnsuchtsvollen Texte dieser Musik, deren Heimatbezug für südamerikanische Migrant/-innen analysieren. Das Ende des Films rückt die politische Lage nordmexikanischer Grenzstädte in den Fokus. In Bezug dazu ließen sich im Spanisch- sowie im Gemeinschaftskunde-Unterricht Gründe und mögliche politische Lösungen für die Gang-Gewalt in Städten der Grenzregion diskutieren – dies vor allem im Hinblick auf Fluchtursachen in den betroffenen mittel- und südamerikanischen Ländern. In diesem Zusammenhang bietet es sich an, die Charakterisierung der Hauptfigur näher zu beleuchten – insbesondere aufgrund der offenen Erzählstruktur von
I’m No Longer Here. Welche Rolle spielt Ulises in seiner Heimatstadt? Wie positioniert er sich in Bezug auf Gang-Kriminalität und Gewalt? Und wieso scheint er weder in Monterrey noch in New York heimisch zu werden?
Autor/in: Hannes Wesselkämper, 29.07.2020
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