Kinofilmgeschichte
In Treue füreinander – Männerfreundschaften im Film
Ben Hur
"Es ist eine verrückte Welt. Aber etwas Gutes gibt es in ihr doch: die Treue alter Freunde." Diesen gestanzten Satz spricht der römische Offizier Messala in Willam Wylers Verfilmung Ben Hur aus dem Jahr 1959 zu seinem Jugendfreund. Der Satz begründet Männerfreundschaften im Kino. In Abenteuerfilmen, in Kriegsfilmen, in Western (dem Männerfreundschafts-Genre überhaupt (man denke nur an die Blutsbrüder Winnetou und Old Shatterhand), in allen diesen Gattungen ist Freundschaft ein unverzichtbarer Bestandteil der Dramaturgie. Sie wird nie hinterfragt, höchstens auf die Probe gestellt. Wer in dieser Probe versagt, qualifiziert sich als Bösewicht. Dann schlägt Freundschaft in Hass um. Es gibt kaum ein besseres Beispiel für diesen Fall, als Messala. Schließlich wird er beim Wagenrennen zu Tode geschleift.
Der Wert des Zusammenhaltens
Im Genre-Film ist Freundschaft also ein "topos", ein Versatzstück, mit dem gespielt wird. Es gibt aber auch Filme, in denen Freundschaft das Genre wesenhaft bestimmt. Das ist die unverbrüchliche Freundschaft von Kindern und Jugendlichen als Grundlage aufregender Abenteuer. Die Filme nach Astrid Lindgrens Kalle-Blomquist-Romanen oder Enid Blytons Fünf-Freunde-Geschichten erzählen davon. Auch die diversen Verfilmungen von Erich Kästners "Emil und die Detektive". Hier ist Freundschaft von Realität so wenig gefährdet, dass Zweifel an der eigenen Gruppe kaum zum Thema werden. Bücher und Filme haben über die Unterhaltung des Publikums hinaus das pädagogische Ziel, Vertrauen zu stiften und Zusammenhalt als Wert zu begründen.
Kitt und Zündstoff
Gefährdung der Freundschaft, Konflikte zwischen Solidarität und Eigeninteressen, Verrat als Handlungsmöglichkeit kommen erst wieder ins Spiel, wenn die handelnden Personen ins spätere Jugendalter vorgerückt sind und Aggressionen gegen die Generation der Eltern entwickeln. Freundschaft ist sowohl Kitt wie Zündstoff in Filmen über Jugendbanden, seien es die Cliquen um James Dean in Denn sie wissen nicht, was sie tun (1955), in Francis Ford Coppolas Die Outsider (1982), der sich ausdrücklich auf die Dean-Ära bezieht, oder in Georg Tresslers deutscher Variante Die Halbstarken (1956). Fundament der Freundschaft ist hier häufig die Abgrenzung gegenüber der abgelehnten Gesellschaft.
Brassed Off - Mit Pauken und Trompeten
Einer für alle
Gerät die Clique ins fortgeschrittene Mannesalter, ist oft genug Erinnerung der Stoff der als Freundschaft empfundenen Gemeinsamkeit. Die Erinnerung an die Herausforderung gemeinsam bestandener Abenteuer führt eine so exemplarische Freundes-Gruppe wie Dumas‘ Musketiere ("Einer für alle – alle für einen!") in vielen Filmen solange zusammen, bis das Alter ihnen die Abenteuerlust vermiest. Weniger mythologische Cliquen, etwa John Cassavetes
Husbands (1970), müssen den späten Leerlauf einst funktionierender Freundschafts-Rituale erfahren. Oder sie machen sich bei seltenen Treffen die Lebenslügen bewusst, die nicht nur ihre Freundschaft tragen, wie in
Peter‘s Friends von Kenneth Brannagh (1992). Doch auch Solidarität gegen soziale Zumutungen kann bei Männern noch einmal vehemente Gruppen-Gefühle mobilisieren. Das zeigen Mark Herman in
Brassed Off (1996) oder Peter Cattaneo in
Ganz oder gar nicht (1997).
Überwindung der Grenzen
Freundschaft ist allerdings nicht nur ein Gruppen-Phänomen. Die Freundschaft zwischen Individuen ist im Kino besonders dann Stoff für starke Emotionen, wenn sie unerwartet kommt, wenn sie gegen unsinnige Normen verstößt oder wenn sie sich in besonderen Herausforderungen bewährt. So hat eine ganze Reihe von Filmen die unsägliche Apartheid in Südafrika durch rassenübergreifende Freundschaften ad absurdum geführt und damit bekämpft. Darunter sind:
Denn sie sollen getröstet werden von Zoltan Korda (1951),
Schrei nach Freiheit von Richard Attenborough (1987) und
Eine Freundschaft von Elaine Proctor (1993). In Märchen und in märchenhaften Filmen haben Freundschaften seit jeher soziale Schranken überwunden, sei es die zwischen Königssohn und Küchenjungen in
Das Auge des Adlers von Peter Flinth (1997) oder die zwischen Großbürger-Kind und Subproletarier in
Der Rikschamann von Hiroshi Inagaki (1958).
Sie prügeln und sie lieben sich
In
Der Rikschamann bewährt sich die Freundschaft noch im Tode. Die Grenzerfahrung des bevorstehenden Todes ist eine immer wieder herbei zitierte Situation, um das Pathos einer Freundschaft für den Zuschauer nachvollziehbar zu machen. Beispiele dafür sind
Indien von Paul Harather (1995),
Keiner liebt mich von Doris Dörrie (1995) und
Der Himmel kann warten von Brigitte Müller (2000). Eine andere Form von Freundschafts-Pathos entsteht durch die zur Schau getragene Gegnerschaft zweier Individuen, hinter der sich tatsächlich eine große Bereitschaft zum Tragen von des anderen Last verbirgt. Ein Musterfall der Filmgeschichte sind Don Camillo und Peppone. Sie prügeln sich physisch und ideologisch, weil sie sich eigentlich von Herzen mögen. Ähnliche Freundespaare sind die Figuren, die Walter Mattau und Jack Lemmon ab 1966 miteinander gespielt haben, darunter den Zeitungsverleger und seinen ausgebeuteten Reporter in Billy Wilders
Extrablatt (1975).
Trotzdem miteinander tanzen
Tatsächlich erstrahlen viele Filmfreundschaften erst, wenn die Katastrophe eingetreten ist. Man denke an den "Trotzdem"-Tanz von Alexis Sorbas und seinem Schriftstellerfreund am Ende des Films von Michael Cacoyannis (1964). Oder man lausche wieder einmal dem mythischen Schluss-Satz aus Casablanca (1943), wenn die ehemaligen Gegner die Probleme gemeinsam überwunden haben: "Ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft".
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 21.09.2006