Hintergrund
Wohl dem, der Freunde hat ...
Asterix und Obelix sind es, Winnetou und Old Shatterhand, Huckleberry Finn und Tom Sawyer, Schimanski und Tanner – Freunde. Freunde wie einst Goethe und Schiller, Marx und Engels, Pat und Patachon. Und heute? Wem fallen wirkliche Freunde ein?
Schwer zu finden
Mehr als die Hälfte der Deutschen findet es schwierig, echte Freunde zu finden. 85 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer geben einer Umfrage der Zeitschrift "Elle" (Dezember 2000) zufolge an, damit Probleme zu haben. Die Gründe: Stress, die anderen würden nur auf Vorteile schielen, man fühlt sich ausgenutzt. Immerhin haben noch 41 Prozent Freunde aus Kindertagen. 18 Prozent vermissen einen guten Freund bzw. eine gute Freundin.
Szenenfoto aus "Der Himmel kann warten"
Was ist das eigentlich, Freundschaft?
Der altgriechische Philosoph Aristoteles (siehe hierzu auch Harald Lemke: "Freundschaft. Ein philosophischer Essay", Hamburg 2000) unterscheidet drei Typen: die nützliche Freundschaft, die angenehme und die gute. Typ eins und zwei fallen eher unter die Kategorie Bekanntschaft. Die, um die es geht, ist Typ drei, die gute Freundschaft. Eine solche ist nach Lemke Wohlgefallen am "Sosein eines konkreten anderen", also Zuwendung um des Freundes willen. Das heißt: Echte Freundschaft braucht Zeit, Aufwand, Verbindlichkeit, selbstlose Anteilnahme, Selbstüberwindung, Geduld.
Ersatz für traditionelle Bindungen?
Soziologen sind dabei, die Freundschaft wieder zu entdecken. Sie sehen darin einen Ersatz für traditionelle Bindungen: Familie, Verein, Firma, Gemeinde, Kirche, Gewerkschaft. Thorsten Bonacker, der an der Universität Marburg überfüllte Proseminare zum Thema "Freundschaft und Feindschaft" hält, meint: "Freunde werden wichtiger. Für unser Verständnis von uns selbst brauchen wir Freunde – sie beweisen unsere Authentizität."
Szenenfoto aus "Der Himmel kann warten"
Jenseits vom Spiel der Geschlechter
Paare können sich scheiden lassen, Freunde nicht. Freundschaften überstehen Berufswechsel, Umzüge, sogar Paarbeziehungen. Sie können stabiler sein als Ehe und Partnerschaft, weil das sexuelle Moment wegfällt. Sobald Sex eine Rolle spielt, bricht der Kampf der Geschlechter durch, das Spiel um Macht und Ohnmacht, Eifersucht und Begehren. Die Wunden werden tiefer, weil sich Liebespaare körperlich und seelisch viel näher kommen. Das Spiel der Geschlechter verträgt pure Freundschaft schwer. "Ruhrgebietsrocker" Klaus Lage hat ein Lied dazu gemacht: "Tausendmal berührt, nie ist ‘was passiert ...". Es gibt Freundschaften zwischen Paaren, Männerfreundschaften, gute Freundinnen, die selbst ihre Kleider tauschen – aber Freundschaften zwischen Mann und Frau, nichts als Freundschaft?
Mythos Freundschaft
Freunde haben ein selbstloses Interesse aneinander. Sie können es auch ertragen, den anderen so zu lassen, wie man ist. Sie sind einfach da, wenn man sie braucht – auch nachts um drei. Sie reparieren Waschmaschinen, helfen die Wohnung zu renovieren und verleihen ihr Auto. Freundschaften entstehen, wenn man gemeinsam gute und schlechte Zeiten durchgemacht hat, wenn die Chemie stimmt, wenn man sich aufeinander verlassen kann. Mehr sollte man gar nicht erklären wollen, meint Experte Thorsten Bonacker, denn ein Rest Mythos bleibt: "Wir können uns keinen Grund bewusst machen, warum wir mit jemandem befreundet sind. Wenn wir das versuchen, setzen wir die Freundschaft aufs Spiel."
Nähe und Distanz
Aber auch in Freundschaften gilt die Regel: Je näher man sich kommt, desto sicherer kommt es zum Konflikt. Und oft erkennt man erst, wenn die Krise da ist, dass man Freundschaften genauso intensiv pflegen muss wie Beziehungen. Offenheit kann einer guten Freundschaft nicht schaden – wer anderes als der beste Freund ist bereit, einem auch mal etwas Unangenehmes oder Peinliches zu sagen? (Volker Thomas)
"Geborgen in einer unsicheren Welt"
Dr. Yvonne Fritsche, eine der Autorinnen der Shell-Jugendstudie 2000, über die Rolle von Freundschaft und Partnerschaft
Zu den überraschenden Ergebnissen der Shell-Jugendstudie 2000 gehört, dass junge Leute wieder mehr auf Treue, verlässliche Partnerschaft und Familie stehen ...
Yvonne Fritsche: "Es stimmt: Partnerschaft, Treue und Verlässlichkeit im Zusammenleben und Familienbande sind in ihrer Bedeutung erheblich aufgewertet. Die jungen Leute entsprechen dabei mit ihren Vorstellungen von Partnerschaft ihren eigenen, subjektiven Bedürfnissen: Sie wollen Treue und Verlässlichkeit und sie sind deshalb auch bereit, selbst treu und verlässlich zu sein."
Welche Bedeutung hat Partnerschaft?
Yvonne Fritsche: Sie ist die Institution, die Rückhalt und Geborgenheit bieten kann in einer Gesellschaft, in der es schwer ist, sich zu behaupten. Sie ist gewissermaßen die Rückversicherung, wenn alles scheitert, das Auffangnetz für alle Fälle. Auf diesem Hintergrund hat übrigens nicht nur die eigene künftige Partnerschaft eine Aufwertung erfahren, sondern auch die Herkunftsfamilie. Den eigenen Eltern und Großeltern begegnen junge Leute heutzutage mit viel mehr Wertschätzung, sie verderben es nicht mehr so leichtfertig mit ihnen. Dort können sie im Ernstfall Unterstützung und Hilfe finden."
Partnerschaft und Familie als Teil der strategischen Planung, um sich als Erwachsener in einer unsicheren Umwelt einzurichten?
Yvonne Fritsche: "So könnte man das sagen. Die heutigen Jugendlichen gehen recht illusionslos und sehr pragmatisch an diese Fragen heran. 25 Prozent selbst der besonders familienorientierten Jugendlichen sehen es dabei als durchaus möglich an, auch mal getrennt von ihrem Partner zu wohnen. Das ist aber keine grundsätzliche Single-Mentalität. Getrenntes Wohnen ist allenfalls eine Behelfslösung. Das Ideal ist und bleibt das gemeinsame Zuhause mit dem Partner, der Ort zum Wohlfühlen."
Autor/in: Michael Bechtel (Auszug aus PZ 104, Dezember 2000), 21.09.2006