Agostino Imondi und Dietmar Ratsch
Agostino Imondi, 1975 in Basel geboren, arbeitete von 2000 bis 2003 als Kameramann und Cutter für den australischen TV-Sender Channel 31 Melbourne. Im Anschluss besuchte er für ein Jahr die Regieklasse Scuola di Cinema in Rom.
Neukölln Unlimited ist sein erster abendfüllender
Dokumentarfilm. Dietmar Ratsch, 1970 in Soltau geboren, arbeitete von 1993 bis 2000 als freier Kameramann für verschiedene TV-Sender und für freie Produktionen. 1995 begann er sein Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg, das er im Jahr 2000 mit Diplom im Bereich Regie Dokumentarfilm abschloss. Er ist Mitgründer und Geschäftsführer der in Ludwigsburg und Berlin ansässigen Indi Film GmbH, die sich auf die Entwicklung und Realisierung von Dokumentarfilmen für Kino und Fernsehen spezialisiert hat, wie etwa
Von einem der auszog – Wim Wenders' frühe Jahre (Marcel Wehn, Deutschland 2007) und
Hochburg der Sünden (Thomas Lauterbach, Deutschland 2008).
Das Interview führte Stefanie Zobl.
Wie sind Sie auf die Idee zu Neukölln Unlimited gekommen?
Agostino Imondi: Ich wollte ursprünglich einen Film über Jugendkriminalität und -gewalt machen. Während der Recherche habe ich Maradona beim Breakdance-Battle in einem Neuköllner Jugendzentrum kennengelernt. Mir hat die Idee gefallen, dass man beim Battle, also Kampf, seine Aggressionen auf der Tanzfläche herauslässt, statt mit Fäusten auf der Straße. Ich war total begeistert von Maradona, der damals erst zwölf Jahre alt war. Einige Wochen später habe ich Hassan und Lial kennengelernt und mehr über das Schicksal der Familie erfahren. Darüber wollte ich dann einen Film machen.
Wie haben sie zu den Hauptfiguren und ihrem Umfeld Vertrauen aufgebaut?
Agostino Imondi: Ich habe selbst einen Migrationshintergrund. Mit vielen der Vorurteile musste ich als Kind selbst leben. Es gibt also durchaus Parallelen. Wenn man sich kennenlernt, gehört es meines Erachtens auch dazu, dass nicht nur die Protagonisten von sich erzählen, sondern dass man auch etwas von sich selbst preisgibt. Nur so kann eine vertrauensvolle Basis geschaffen werden. Die Protagonisten haben uns nicht von der ersten Sekunde an alles erzählt. Von der ersten Recherche bis zum fertigen Film sind drei Jahre vergangen, also genug Zeit, um sich besser kennen zu lernen.
Dietmar Ratsch: Die Protagonisten haben nach dem Dreh auch immer die Möglichkeit zu sagen, wenn sie etwas nicht wollen. Als
Neukölln Unlimited fertig war, haben die Akkouchs den Film abgenommen und rundum für gut befunden.
Was ist mit dem Vater? Warum kommt er in dem Film überhaupt nicht vor?
Agostino Imondi: Unser Film ist ein
Dokumentarfilm und kein Spielfilm. Man muss respektieren, dass die Familie bestimmte Dinge nicht preisgeben will.
Dietmar Ratsch: Die Akkouchs sind keine gecastete, sondern eine echte Familie. Wir können niemanden dazu zwingen, bei dem Film mitzumachen. So entstehen solche Lücken.
Wie sind Sie an die Umsetzung des Themas herangegangen?
Agostino Imondi: Unser Film unterscheidet sich von anderen Filmen zu diesem Thema. Meist werden die Protagonisten, wenn es um Migration, Asyl und Menschenrechte geht, als Opfer dargestellt, die sich nicht wehren können. Ihre Geschichte wird "von oben", aus der Perspektive der deutschen Gesellschaft dargestellt. Es gibt wenige Filme, in denen die Geschichte aus Sicht der Migranten erzählt wird, in denen auch deren Sprache gesprochen und gezeigt wird, was ihnen wichtig ist. Der Film hat gesellschaftspolitisch eine Botschaft, aber er sollte auch unterhaltsam sein, um die Zielgruppe der Jugendlichen zu fesseln.
Warum gibt es keinen Off-Kommentar?
Dietmar Ratsch: Wir differenzieren ganz klar zwischen den verschiedenen Genres: Unser Film ist keine Dokumentation oder Reportage und auch kein Bericht, sondern ganz klar ein
Dokumentarfilm mit einem wirklichen Filmanspruch. Wir wollen eine Geschichte erzählen, mit dokumentarischen Mitteln: So mussten wir uns bei den Dreharbeiten und auch beim
Schnitt immer wieder der klassischen Drei-Akt-Dramaturgie unterordnen und fragen, wie wir die Zuschauer über 90 Minuten emotional halten können. Dass es keinen
Off-Kommentar geben würde, war von vornherein klar.
Gilt das auch für die als Comic animierte Vergangenheitsebene?
Dietmar Ratsch: Ja. Hassan hat dieses Buch mit dem Arbeitstitel
Der Geduldete geschrieben. Wir wollten etwas finden, was das Vorlesen daraus in Kombination mit seiner Stimme filmisch macht.
Agostino Imondi: Zu der Idee mit der
Animation kam es, weil Graffiti als Kunstform mit HipHop und Breakdance einhergeht und zudem Jugendliche anspricht.
Haben Sie jemals in die Geschehnisse eingegriffen oder gar inszeniert?
Agostino Imondi: Nein, das einzige, was wir inszeniert haben, waren Tanzszenen mit Maradona. Die waren insofern gestellt, als wir ihn darum gebeten haben, auf der Bühne Freestyle zu machen.
Dietmar Ratsch: Es ist ja immer die Frage, was die Regiearbeit ausmacht, wie führt man die Protagonisten. Wir haben sehr viel mit ihnen geredet und sie wussten, worum es uns geht. Zudem sind die Akkouch-Geschwister Künstler, die es gewohnt sind, sich auf der Bühne und vor der Kamera selbst zu inszenieren.