Das Interview führte Holger Twele.
Wie sind Sie auf das Schicksal solcher Jugendlicher aufmerksam geworden?
Das war eine sehr lange Entwicklung, wir haben gemerkt, dass es im deutschen Kino wie im Fernsehen nur ganz wenige gute Arbeiten zu diesen Randgruppen gibt. Die meisten Filme, z. B. auch die vielen Vorabendserien, spielen in der oberen Mittelklasse. Uns fehlte ein ehrlicher, naher, aber auch respektvoller Blick auf Leute, die von unten kommen, für die sich die Gesellschaft nicht oder nur ganz am Rande interessiert.
Haben sich denn die Assoziationen zu rechtsradikalen Jugendlichen erst durch die Ereignisse der letzten Monate ergeben oder war das von Anfang an von Ihnen beabsichtigt?
In unserer Geschichte sind die Skins unpolitisch, sie verstehen sich auch so. Uns war es ganz wichtig, sie nicht als politisch rechts einzuordnen, weil es dann für den Zuschauer sehr einfach ist, sie schnell zu verurteilen und sich davon innerlich abzusetzen. Wir wollten dagegen die Zuschauer zum Nachdenken bringen, ob sie nicht selbst etwas näher an dem dran sein könnten, was Koma in unserer Geschichte zeigt und sagt.
Der Film weckt ein gewisses Verständnis für Menschen, die in die rechtsradikale Szene abdriften. War es Absicht, hinter der Glatzenkultur auch die Menschen zu zeigen?
Den ersten Teil der Frage möchte ich klar verneinen, denn ich habe keine Sympathien für Rechtsradikale. Ich würde niemandem, der rechtsradikal ist, eine Entschuldigung unterschieben wollen, schon gar nicht mit unserem Film. Im Gegenteil, wir wollten damit einen Aufruf zur Toleranz leisten. Aber man darf dabei nicht mit Zaunpfählen um sich schlagen, denn dann hat kein junger Mensch mehr Lust, sich das anzuschauen. Zu Recht finden sie nichts schlimmer, als belehrt zu werden. Deswegen kann man die Botschaft des Films auch nur vorsichtig verpacken und vermitteln. Aber die Botschaft ist klar: Respektiert den Anderen gerade in seinem Anderssein, sucht nicht zuerst nach seinen Fehlern, sondern nach dem, was er vielleicht Positives in sich hat. Aber Janosch und selbst Koma werden ja nicht nur negativ dargestellt, sondern auch Verständnis dafür geweckt, wie sie zu dem werden, was sie sind . Das ist richtig. Wir wollten einen klaren und genauen Blick auf diese Jugendlichen werfen und dafür war es wichtig, zu zeigen, warum diese Skinhead-Szene auf Janosch so eine Anziehungskraft ausübt. Dazu gehört das Zusammengehörigkeitsgefühl, das Gefühl, auf einmal Macht zu haben, die man vorher nicht hatte, man ist auf einmal der Gefürchtete, früher war man gar nichts. Solche Dinge wirken auf junge Leute sehr anziehend, besonders im Osten. Glatze sein ist dort richtig hipp. Das liegt unserer Meinung nach gerade in diesem Mischmasch aus Männlichkeit, aus dem Gefühl, nicht mehr alleine zu sein, einer Gruppe zugehörig zu sein, die viel Stärke und Power vermittelt, in ihren Ritualen wie in der Musik.
Beim Drehen im Dolomit-Steinbruch in Hagen (Foto: Schlammtaucher Film)
Haben Sie auch direkt in der Skinhead-Szene recherchiert?
Natürlich, denn wir wollten ein genaues Bild liefern und dazu gehört eine genaue Recherche. Vor allem im Westen, vereinzelt auch im Osten haben wir uns die Skinhead-Szene sehr genau angesehen, sind auf mindestens 30 ihrer Konzerte gegangen, haben Skins auch privat besucht. Wir haben allerdings nicht undercover gearbeitet, sondern immer offen gesagt, dass wir einen Spielfilm drehen wollen und dass es darin auch kritische Töne geben wird.
Warum kommen die Erwachsenen alle schlecht weg im Film?
Ich finde nicht, dass sie schlecht wegkommen. Der Film ist weitgehend aus der Perspektive von Janosch erzählt. Für ihn sind diese Erwachsenen Schießbudenfiguren, die eine Sprache sprechen, die Kirgisisch oder Chinesisch sein könnte. Wir wollten zeigen, dass es zwischen den Jugendlichen und den Erwachsenen kein echtes Gespräch mehr gibt, auch kein kritisches mehr. Mittlerweile leben beide Generationen vollkommen aneinander vorbei und die Erwachsenen reden nur von und für sich selbst. Es gibt auch kaum noch Erwachsene, die heute den 15-20-Jährigen wirklich zuhören können, die wollen sich nur selber reden hören.
Eike Schmidt und Simon Goertz bei einer Stellprobe. An der Kamera: Axel Henschel (Foto: Schlammtaucher Film)
Warum haben Sie Zottel als positive Gegenfigur zu Koma ausgewählt, der ebenfalls am Rande der Gesellschaft lebt?
Er ist so etwas wie ein "moderner Primitiver", der etwas Neandertaliges herüberretten will in unsere Zeit, etwas, das es heute nicht mehr gibt. Früher spielte das Geistige, die Seele, noch eine gewisse Rolle. Das ist für Zottel ganz entscheidend. Ihm geht es nicht um Geld und Wohlstand, sondern immer noch darum, dass das Herz wächst, wie man sagt. Dass so eine Figur dann "randständig" ist, finde ich typisch, denn Menschen, die nicht angepasst sind und versuchen, ihre Eigenständigkeit zu bewahren, werden fast automatisch an den Rand gedrückt. Für mich ist Zottel daher eine Beschreibung dieses Freiheitsbegriffs, er verkörpert große persönliche Freiheit. Wie weit kann man gehen, wie gefährlich ist es, die Grenzen seiner eigenen Person kennzulernen und zu schauen, wo ist die Wand, wo liegt der Abgrund? Zottel überlebt diesen Drahtseilakt nicht, denn er kämpft alleine und niemand hilft ihm.
Welche Rolle spielt die Gewalt bei den Skins?
Sie ist ein gängiges Mittel männlicher Auseinandersetzung und wird auf einer 1:1-Ebene erlebt und erfahren. Es gibt noch eine andere Gewalt, bei der die Frau nichts zu sagen hat, weil der Mann so dominant ist. Da braucht es gar nicht mehr die direkte Faust. Innerhalb der Skinhead-Szene ist Gewalt ein ganz normales und gängiges Mittel der Auseinandersetzung und der Lösungsversuche von Problemen. Dass wir das nicht gut finden, kommt in unserem Film sicher raus.
Gibt es grundsätzliche Unterschiede zwischen west- und ostdeutschen Jugendlichen in ihren Reaktion auf den Film?
Wir waren selbst überrascht, denn die Unterschiede sind erstaunlich groß. Die Reaktionen in Schwerin und Leipzig waren ganz anders als die in Westdeutschland. Im Westen wird die Kuss-Szene zwischen Janosch und Zottel viel eher angenommen als im Osten. Dort gab es immer Riesenaufstände beim Kuss zwischen den beiden Männern. Im Westen waren die Reaktionen freundlicher, im Osten gab es viel konservativere Ansichten. Und die Gewalt wird dort viel gleichgültiger hingenommen. Im Leipzig haben sogar bürgerliche Erwachsene mit den anwesenden Skinheads den Schulterschluss gesucht. Das hat es im Westen nicht gegeben. Jugendliche fühlen sich natürlich bestärkt, wenn alle Erwachsenen um sie herum sagen, rechtsradikal zu sein, sei gar nicht so schrecklich. Und im Gegensatz zu ihren Eltern wollen sie dann auch etwas in diesem Sinne unternehmen.
Was müsste sich ändern, damit Jugendliche wie Koma wieder in die Gesellschaft zurückfinden?
Ein Film kann natürlich nichts verändern, schon gar nicht die Welt und rechtsradikale Jugendliche auch nicht. Im Osten müsste sich die angesprochene Grundstimmung ändern. Ich hoffe, unser Film kann einen kleinen Teil dazu beitragen, dass man auch den anderen Respekt zollen muss. Alle müssten sagen: Wir brauchen auch solche Leute wie Zottel. Nur so kann sich die vorhandene Grundstimmung ändern.
"Die Entwicklung von Zivilgesellschaften im Osten braucht vor allem Geduld. Es kommt darauf an, dass man die ‘Privatöffentlichkeit’ der ehemaligen DDR-Kultur nicht nur nicht weiter entwerten, sondern stärken sollte – es geht um eine Netzwerkförderung auf regionaler Basis. Wenn sich die Menschen wieder trauen, Verantwortung für die Gestaltung ihrer Umgebung und politischen Alltagskultur zu übernehmen, dann werden die Glatzen als Ersatzschutzleute in Schach gehalten. Und irgendwann werden sie auch als Trotzkultur unattraktiv, weil es andere Themen als ‘Ausländer’, ‘Stolz’, ‘Sauberkeit’ und das alles verbindende Opfergefühl geben wird. Letzteres ist mehr als alles andere der Stoff, aus dem sich der rechte Lifestyle speist."
(Prof. Joachim Kersten: Rechte Gewalt in Deutschland: "Dieser Wagon ist nur für Weiße!" In: Psychologie heute, Oktober 2000)