Kosovo 2004: Der serbische Junge Nenad wird jeden Tag mit dem KFOR-Panzer zur Schule gefahren. Er ist der letzte verbliebene Schüler, Mitglied der verschwindend kleinen serbischen Minderheit auf albanischem Gebiet. In seinem Heimatdorf halten sein störrischer Vater und der sterbende Großvater verzweifelt die Stellung. Der serbisch-orthodoxe Priester Drazha ist Nenads Hauptgesprächspartner. Nachdem es dem Zehnjährigen gelungen ist, mit zwei gleichaltrigen Albanern in Kontakt zu treten und sich gemeinsam die Zeit zu vertreiben, wird auch der Hirtenjunge Bashkim auf ihn aufmerksam. Er trägt eine Pistole und hasst die Serben, die er für den Tod seines Vaters verantwortlich macht. Bald eskaliert die Situation, aus schüchternem Spiel wird blutiger Ernst.
In stillen, poetischen Bildern beschwört der Film eine Atmosphäre der Aggression in scheinbarer Idylle. Die von Nenads Familie bewohnte Enklave gleicht einem Geisterdorf. Blökende Kühe, das Rattern des Panzers und gelegentliche Schüsse bilden die Geräuschkulisse. Nach dem Tod des Großvaters dient die Anreise von Nenads Tante aus Belgrad dazu, die Diskriminierung der serbischen Minderheit durch albanische Nachbarn und Beamte deutlich zu machen: Wie zuvor schon der Panzer wird auch der Reisebus mit Steinen beworfen, eine Ahndung solcher Vorfälle durch die Polizei bleibt aus. Einziger Hoffnungsschimmer ist das Spiel der Kinder, unschuldige Opfer eines Konflikts, dessen Wunden von Generation zu Generation weitergetragen werden. Die wehmütige
Musik der zweiten Filmhälfte stammt aus dem Drama
Die Erde weint (2004) des griechischen Meisterregisseurs Angelopoulos, der hier mit seiner nuancierten, zurückhaltenden Kunst des Filmemachens prägend wirkte.
Enklave schildert die Folgen des Kosovokriegs von 1999 aus Kinderaugen und Kindermund: Ein von Nenad zu Beginn verlesener Schulaufsatz fasst die Grundzüge seiner Situation zusammen, danach allerdings fließen die Informationen spärlich. Entsprechend müssen die Hintergründe im Vorfeld vermittelt werden. Die anschließende Analyse muss auch die filmspezifische Symbolik beachten: Was bedeutet es, wenn Priester Drazha auf der Ruine seiner Kirche – dem bevorzugten Spielplatz der Kinder – eine neue Glocke errichten lässt? Im Politik- und Geschichtsunterricht der höheren Klassen kann die serbische Perspektive des Films eingeordnet werden: Auch im heutigen Serbien ringen, lange nach Ende der Balkankriege, bedrängte Minderheiten um ihre Rechte, vor allem muslimische Bosnier und Albaner. Die Tätigkeit multinationaler Schutztruppen in Ex-Jugoslawien, wie der KFOR, an der sich auch die Bundeswehr beteiligt, ist ein weiteres interessantes Thema.
Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Philipp Bühler, 25.01.2017, Vision Kino 2017.
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.