Kategorie: Filmbesprechung + Arbeitsblatt
"In die Sonne schauen"
Vier Frauen, vier Epochen, ein Bauerngut: Mascha Schilinskis berauschend poetischer Film erzählt von weiblichen Lebensrealitäten auf dem Land. Dazu: ein Arbeitsblatt für die Oberstufe

Unterrichtsfächer
Thema
Hinweis für Lehrer/-innen: Der Film "In die Sonne schauen" deutet an mehreren Stellen Suizide oder suizidale Gedanken an. kinofenster.de empfiehlt den Film (FSK 16) aufgrund dieser sensiblen Thematik für den Unterricht ab der 11. Klasse. Allerdings liegt es in ihrem Ermessen, ob der Film für ihre jeweilige Lerngruppe geeignet ist. Grundsätzlich empfiehlt es sich, den Film vor der Sichtung und dem Einsatz im Unterricht anzuschauen und dann zu entscheiden.
Bildungsrelevant, weil der Film mit außergewöhnlicher visueller Kraft und Originalität von weiblichen Lebensrealitäten im letzten Jahrhundert erzählt
Die Geschichte: Vier Frauenleben auf einem Vierseithof
Ein Bauerngut in der Altmark. In der Mitte ein Platz, umschlossen von Gebäuden, die den Blick in die Weite verstellen. Zu unterschiedlichen Zeiten leben vier junge Frauen und Mädchen in dieser kleinen Welt: Während des Ersten Weltkriegs verbringt hier Alma ihre Kindheit. Dass die Eltern dem Bruder Fritz, um seine Einberufung zu verhindern, nach einem "Unfall" ein Bein amputieren, umtreibt die Bauerntochter weniger als eine Totenfotografie in der guten Stube. Denn das kleine Mädchen darauf gleicht ihr aufs Haar. Einen Krieg später, wenige Männer sind verblieben, die Rote Armee rückt unaufhaltsam näher, entwickelt die junge Erika am selben Ort eine erotische Faszination für ihren versehrten Onkel Fritz. In den 1980ern trotzt Angelika auf dem Hof der Monotonie und ihrem übergriffigen Onkel mit provokanter Lebenslust – und hegt zugleich suizidale Fantasien. Nach der Jahrtausendwende schließlich zieht Nelly mit Eltern und großer Schwester von Berlin aufs alte Gut. Und während sich die Schwester mit einer Einheimischen anfreundet, scheint die Vergangenheit des Anwesens das Kind dunkel zu umfangen.
Filmische Umsetzung: Zwischen Heimatsaga und Horror
Mascha Schilinskis von der Kritik gefeierter Zum Inhalt: Spielfilm lässt sich schwer in Zum Inhalt: Genrekategorien pressen. Handlungszeit und Schauplatz (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) erinnern an Autorenheimatfilme wie Edgar Reitz‘ "Heimat – Eine deutsche Chronik" (DE 1984) oder – zumindest Almas Geschichte – Michael Hanekes Zum Filmarchiv: "Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte" (DE/AT/FR/IT 2009). Die geisterhaft unheimliche Atmosphäre von "In die Sonne schauen" evoziert aber genauso Horrorfilme wie "The Others" (Alejandro Amenábar, ES/FR/IT/USA 2001), pointiert gesetzte Schockbilder sogar das surrealistische Kino eines Buñuel. So breit das Spektrum möglicher filmischer Inspirationen, so frei und assoziativ wirkt Schilinskis visuell berauschende Zum Inhalt: Inszenierung: Virtuose Kamerafahrten (Glossar:Zum Inhalt: Kamerabewegungen), entsättigte körnige Bilder, eine die Chronologie auflösende Zum Inhalt: Montage, wiederkehrende, sich spiegelnde oder umkehrende Motive verbinden die Handlungsstränge zu einer poetischen Erzählung, die Grenzen zwischen Realität und Traum, gestern und heute verwischt. Irritationen wie Blicke in die Kamera (Glossar: Zum Inhalt: Vierte Wand) oder verstörend aufgrollende Sounds (Glossar: Zum Inhalt: Tongestaltung/Sound-Design) untergraben dabei ein schwelgerisches Abtauchen.
Thema: Weibliche Gewalterfahrungen
"In die Sonne schauen" erzählt aus weiblicher Perspektive vom Leben in ländlicher Abgeschiedenheit zu verschiedenen Zeiten. Ihre Themen entwickelt Schilinski dabei in feinem Zusammenspiel aus Aussparungen, Andeutungen und Assoziationen, das waches Zuschauen einfordert. So kristallisieren sich die Erfahrungen der Protagonistinnen mit männlicher Gewalt und der angesichts der Machtverhältnisse und Enge des Hofes erschwerten, wenn nicht unmöglichen Selbstentfaltung als zentrale Aspekte heraus. Die Verschleifung der Zeitebenen wirft dabei auch die Frage einer transgenerationellen Weitergabe traumatischer Erfahrungen auf.
Fragen für ein Filmgespräch:
"In die Sonne schauen" verbindet vier Zeitebenen. Wann spielen sie? Und welche Veränderungen und Gemeinsamkeiten erkennt ihr in den familiären Verhältnissen, speziell in den Geschlechterrollen?
Bestimmte Motive im Film tauchen in den verschiedenen Erzählsträngen wiederholt auf. Habt ihr Beispiele für solche Déjà-vu-Momente?
Was ist unter dem Begriff "transgenerationelles Trauma" zu verstehen? Wo im Film seht ihr Andeutungen darauf?