Hintergrund
Babylon Berlin – Vom Roman zur Serie
Kurz vor dem Ende der Weimarer Republik gilt Berlin als freigeistige Weltstadt, in der Künste, Wissenschaften und das Nachtleben blühen, aber auch zunehmend soziale und politische Fronten aufeinanderprallen. Wie Alfred Döblin in seinem Roman "Berlin Alexanderplatz" (1928) sucht der Autor Volker Kutscher diese Gegensätze in diversen Milieus und Schichten. Für die 2008 mit "Der nasse Fisch" begonnene Kriminalroman-Reihe um den Kommissar Gereon Rath rekonstruierte er das damalige Berlin mit Recherche und Imagination vom Schreibtisch aus. Um die "Goldenen Zwanziger" kurz vor der Weltwirtschaftskrise für die
Serienadaption Babylon Berlin nachzustellen, war indes ein ganz anderer logistischer und gestalterischer Aufwand nötig.
Realismus mit einem Touch Gegenwart
Die Rekonstruktion des hauptstädtischen Lebens anno 1929 ist das eigentlich Bemerkenswerte an der High-Budget-Produktion. 180 Drehtage an 260 Motiven, rund 300 Sprechrollen und 5.000 Komparsen und Komparsinnen waren für die Umsetzung der bislang 16 Folgen der ersten beiden Staffeln erforderlich. Da die
Autoren und Regisseure Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries mit je eigenen Drehteams und Kameramännern filmten, erscheint die übergreifende Rahmensetzung der Gewerke umso relevanter für die Kohärenz der Serienwelt.
Babylon Berlin, Szene (© X Verleih (Kino), DVD und Blu-ray erschienen bei Universum Film GmbH)
Sämtliche Gewerke verfolgten den Ansatz, eine realistische Darstellung der Historie mit einer heutigen Perspektive zu verbinden. "Wir wollten das Zeitkolorit treffen, uns gleichzeitig aber nicht verpflichtet fühlen, die Epoche detailgenau nachzustellen", so Tykwer. Dahinter steht die Idee, Parallelen zwischen dem damaligen und dem jetzigen Berlin kenntlich zu machen. Diese Leitlinie setzte auch der Szenenbildner Uli Hanisch um: "Das
Szenenbild besteht aus zeitgenössischen Elementen, aber die Art und Weise wie wir mit den Räumen umgehen, entspringt dem Bewusstsein unserer Zeit." Als Beispiel nennt er die "Studentenbude" der Nebenfigur Rudi Malzig, die nach heutigem Vorbild "schlampiger" eingerichtet wurde als seinerzeit üblich – mit einer Matratze auf dem Boden statt im Bettkasten.
Ein Nachtclub als "Berghain der 20er"
Das
Production Design im Nachtclub "Moka Efti" greift die Prämisse mustergültig auf. Gedreht wurde die
Sequenz an fünf Tagen im früheren
Stummfilm-Kino "Delphi" in Berlin-Weißensee. Uli Hanisch sieht den Bohème-Tanzpalast als eine Art "Berghain der 20er" und strebte beim Kulissenbau eine Zeitlosigkeit an: "Inspiration fand ich in zeitgenössischen Fotografien, Bühnenbildern und Dokumentarfilmen, aber auch in Filmen über das Berlin der 1920er-Jahre, zum Beispiel
Cabaret von 1972." Zudem hallen im "Moka Efti" und in der Ästhetik von
Babylon Berlin expressionistische Stummfilme wie
Das Cabinet des Dr. Caligari (1922),
Dr. Mabuse, der Spieler (1922) oder
Der letzte Mann (1924) wider. Das für die Serie komponierte
Neo-Chanson "Zu Asche, zu Staub" passt in dieses Konzept. Mario Kamien und Nikko Weidemann arrangierten das Stück für eine Big Band mit Instrumenten aus der Handlungszeit, erweiterten die Klangästhetik der "Roaring Twenties" jedoch um Einflüsse aus späteren Jahrzehnten. Beim Auftritt der Kunstfigur Nikoros sollte Weidemann zufolge der "Vorhang der Zeit" fallen.
Babylon Berlin, Szene (DVD und Blu-ray erschienen bei Universum Film GmbH)
Maskenbildner Heiko Schmidt sieht stilistische Parallelen zwischen den 1920er-Jahren und der Gegenwart: "Das ist das einzige Jahrzehnt, bei dem ich denke: Das könnte jetzt sein, die sehen ja genauso aus wie ich." Das Make-up im Film lehnt sich mit Wimperntusche, Lidschatten und Lippenstift an bis heute gültige Standards an, sollte aber "möglichst ungemacht" wirken und eine "Rauheit" ausstrahlen, da die Leute damals "schmutziger" ausgesehen hätten. Daher wurden oft Schweißflecken oder Augenringe hinzugefügt. Beim
Kostümbild liegt in der Nachtclub-Sequenz der Fokus auf der schnurrbärtigen Sängerin Nikoros. Mit Zylinder, Fliege und schwarzem Ledermantel repräsentiert die androgyne Künstlerin die queere Emanzipation der 1920er. Ihr Outfit erinnert an Marlene Dietrichs ikonischen Auftritt in Herrenkleidung im Hollywood-Film
Marokko (1930), der wiederum vom Berliner It-Girl Anita Berber (1899-1928) inspiriert war.
Berlin in Babelsberg
Die meisten
Straßenszenen – darunter der Eingang des "Moka Efti" – entstanden in der von Uli Hanisch konstruierten Außenkulisse "Neue Berliner Straße" des Filmstudios Babelsberg. "Die Konstruktion aus vier Straßenzügen mit Kreuzungen ist so variabel, dass sie immer wieder neue Perspektiven ermöglicht und sich nach den jeweiligen Erfordernissen umrüsten lässt", erklärt der Szenenbildner. Im quadratisch angeordneten Areal mit 54 Häuserfassaden entstanden Nachbauten der Friedrichstraße, von Charlottenburg, Wedding und Kreuzberg. In Babelsberg wurde auch der Teil der "Blutmai"-
Sequenz gefilmt, in dem die Schutzpolizei in der Oranienstraße das Feuer auf Zivilisten eröffnet. Der Auftakt der Szene entstand hingegen am Hermannplatz, wo sich damals das Karstadt-Kaufhaus im Bau befand. Beim Dreh auf dem Platz schwenkten hunderte Komparsen rote Fahnen, während das heutige Gebäude nachträglich per
CGI mit einem Baugerüst umzogen wurde.
Location-Dreh am historisierten Alexanderplatz
Die Szenen auf dem Alexanderplatz filmte das Team hingegen vor Ort. Der Platz wurde dafür einen Tag lang gesperrt. Das Zusammenwirken der Gewerke versetzt das Areal in die 1920er-Jahre zurück: Eine historische Tram und Oldtimer, reale sowie zusätzlich per CGI eingefügte Passantinnen und Passanten, die im Stil der 1920er-Jahre gekleidet sind, beleben das Bild. Der Fernsehturm und andere moderne Bauwerke wurden digital entfernt oder angepasst. In der Pilotfolge eröffnet eine per Kameradrohne erstellte
Totale einen Panoramablick auf den Alexanderplatz. Wo heute die Einkaufsmall Alexa thront, stand früher das als "Rote Burg" bekannte Polizeipräsidium.
Babylon Berlin, Szene (© X Verleih (Kino), DVD und Blu-ray erschienen bei Universum Film GmbH)
Bei den Außenansichten doubelte das Rote Rathaus mit seiner sehr ähnlichen Backstein-Fassade die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Polizeidirektion. Die Türmchen des Gebäudes kopierte das Team des VFX Supervisors Robert Pinnow anhand von Archivbildern ins Bild. Wichtiger als historische Akkuratesse war auch hier, dass sich die digitale Nachbearbeitung bruchlos ins Filmmaterial einfügt. Die Mischung aus Außenszenen an Berliner Plätzen und im Filmstudio Babelsberg sowie Innenszenen in detailreich gestalteten Räumen wie der Wohnung der Familie Ritter erzeugt ein schlüssiges Zeitporträt. Durch die heutige Perspektive der Filmkreativen entsteht dabei eine interessante Reibung, die der historischen Rekonstruktion beziehungsweise Interpretation von
Babylon Berlin ein eigenes Profil verleiht.
Autor/in: Christian Horn, freier Filmredakteur in Berlin, 12.09.2018
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.
Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.