In den 1960er-Jahren formte Staatsgründer Kim Il-Sung Nordkorea in ein totalitäres Regime mit eigener Ideologie, einem Führerkult und lückenlosem Propaganda-Apparat. Für ein Filmteam ist es bis heute unmöglich, sich frei durch Nordkorea zu bewegen, um den Alltag der Menschen zu dokumentieren. Für seinen Dokumentarfilm
Im Strahl der Sonne wollte der russische Regisseur Vitaly Mansky die achtjährige Zin-mi über einen Zeitraum von einem Jahr begleiten. Stattdessen inszenierte das Regime den Alltag des Mädchens und seiner Familie für die Kamera. Zin-mi wird in der Schule gezeigt, bei der Aufnahme in die Pionierorganisation, bei einer Theateraufführung zu Ehren des „großen Führers“ Kim Il-Sung. Mit einem Trick gelingt es Mansky, die strengen Zensurvorgaben der nordkoreanischen Behörden zu umgehen.
Im Strahl der Sonne thematisiert die staatliche Inszenierung. Ein Sprecher erklärt aus dem Off, dass die nordkoreanischen Aufpasser zu Beginn ein fertiges Drehbuch vorgelegt hätten. Aus dieser Vorlage wird zitiert, womit der Film immer wieder die Widersprüche zwischen Realität und Inszenierung offenlegt. So zeigen heimlich gefilmte Aufnahmen die Regieanweisungen der Aufpasser bei den Proben einer Essenszene. Kontrastiert werden die fingierten Bilder mit Eindrücken vom öffentlichen Leben, die Mansky aus großer Distanz, etwa aus seinem Hotelzimmer, unbeaufsichtigt drehen konnte. Seine ungewöhnlichen Aufnahmen, die der Regisseur aus dem Land schmuggeln musste, dokumentieren, wie ein allgegenwärtiges Regime die Menschen bis in ihre Privatleben regiert. Deren Gehorsam beruht nicht auf einer Identifikation mit dem System, sondern auf Angst.
Im Strahl der Sonne, Trailer (© Salzgeber)
Für Jugendliche ist
Im Strahl der Sonne ein guter Einstieg in das Thema Nordkorea. Der Film beschreibt anhand der dortigen Drehbedingungen die Gesellschaft und das politische System. Die offiziellen Bilder von Aufmärschen und den gespenstisch leeren Straßen Pjöngjangs sind im Westen noch vereinzelt bekannt, sie werden jedoch durch den Blick hinter den Propaganda-Apparat entlarvt. Die Frage, wie sich das nordkoreanische Regime für ausländische Beobachter inszeniert und welches Bild es von sich selbst hat, bietet sich im Fach Politik für eine Auseinandersetzung mit der Funktion und Wirkungsweise von staatlicher
Propaganda an. Wie kann man Film und Wirklichkeit auseinanderhalten, wenn sie so eng miteinander verbunden sind wie in Nordkorea? In diesem Sinne stellt
Im Strahl der Sonne auch Fragen, die über Nordkorea hinausgehen und das
Genre Dokumentarfilm an sich tangieren: Was zeichnet die Authentizität eines Dokumentarfilms aus und wie erkennt man dessen Inszenierung?
Autor/in: Matthias Dell, 10.03.2016
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