Der ehemalige Schriftsteller Marcel Marx bestreitet seinen bescheidenen Lebensunterhalt als Schuhputzer in der französischen Hafenstadt Le Havre. Er führt ein beschauliches Leben mit seiner Frau, die ihm selbstlos verschweigt, dass sie wahrscheinlich nicht mehr lange leben wird, und einem Hund. Der Alltag des Bohemiens gerät aus den Fugen, als er einem afrikanischen Flüchtlingsjungen begegnet, der an der Küste gestrandet ist und von der Polizei als illegaler Migrant gesucht wird. In Abwesenheit seiner Frau, die er kurz zuvor ins Krankenhaus einliefern lassen musste, versteckt er den Jungen in seiner Wohnung und hilft ihm zusammen mit engagierten Nachbarn/innen dabei, nach England zu seiner Mutter zu gelangen.
Mit lakonischen, sparsamen Dialogen, trockenem Humor, teils zarten aber auch skurrilen Bildern von poetischem Realismus sowie einem nostalgisch-sehnsuchtsvollen
Score inszeniert Aki Kaurismäki ein soziales Märchen wider die menschliche Gleichgültigkeit. Er erzählt vom solidarischen Widerstand einfacher Leute gegen das inhumane Vorgehen der staatlichen Autoritäten. Gekonnt verwebt er Utopie und Wirklichkeit und lenkt dabei sensibel den Blick auf die Not der Migranten/innen. Dokumentarische Fernsehnachrichten-Bilder von den Räumungen eines illegalen Flüchtlingslagers verorten den Film, der die Politik der Europäischen Union indirekt scharf kritisiert, in der Gegenwart. Mit klassischen Spannungstopoi – zwielichtig
ausgeleuchteten Szenen und einem unvermittelt auftauchenden Inspektor – berührt der Film auch das Genre des
Film Noir.
In der filmpädagogischen Arbeit empfiehlt es sich, die in
Le Havre nur knapp angedeuteten politischen Hintergründe ausführlicher zu erarbeiten. In diesem Zusammenhang bietet sich eine Auseinandersetzung mit der Dublin-Verordnung an, die Entscheidungskriterien über Asylanträge in der Europäischen Union festlegt. Schüler/innen können dazu Position beziehen und die reale französische Asylpolitik bewerten. Ein weiteres zentrales Thema des Films ist die Kraft der Solidarität innerhalb einer Gemeinschaft, die dazu anregt, eigenes Gruppenverhalten etwa auch innerhalb eines Klassenverbands zu reflektieren. Im Kunstunterricht sollten die Besonderheiten der Regiehandschrift und Filmsprache des finnischen Regisseurs erörtert, aber auch über die für Kaurismäki eher untypische positive, utopische Ausrichtung diskutiert werden.
Autor/in: Kirsten Liese, 06.09.2011
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.