Wichtiger Hinweis:

Dieser Text ist zuerst erschienen im Booklet zur DVD Zum externen Inhalt: "Shoah" (öffnet im neuen Tab), Claude Lanzmann, Frankreich 1985, herausgeben von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Claude Lanzmann wurde am 27. November 1925 in Paris als Sohn eines Dekorateurs und einer Antiquitäten-Spezialistin geboren. Seine Großeltern waren jüdische Emigranten aus Osteuropa. Schon als Schüler machte er die ersten Erfahrungen mit wachsendem Antisemitismus und floh 1940, bereits zu Beginn der deutschen Okkupation, mit seiner Familie in die "unbesetzte Zone" des mit den Nationalsozialisten kollaborierenden Vichy-Frankreich. 1943 schloss sich Lanzmann der französischen Widerstandsbewegung, der Résistance, an und kämpfte fortan im bewaffneten Untergrund.

Nach Kriegsende studierte er Philosophie und Literatur in Paris, bevor er 1947 für ein Jahr nach Tübingen ging und dort sein Diplom in Philosophie erwarb. Anschließend übersiedelte er nach West-Berlin, wo er von 1948 bis 1949 eine Dozentur an der Freien Universität übernahm, gleichzeitig als Journalist für die Zeitung Le Monde arbeitete und unter anderem Reportagen über den Alltag in der DDR schrieb. Seine Artikel fanden in Frankreich eine breite Leserschaft und machten schließlich Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, die einflussreichsten französischen Intellektuellen jener Zeit, auf ihn aufmerksam.

Nach Lanzmanns Rückkehr aus Deutschland entwickelte sich daraus eine enge Zusammenarbeit und Freundschaft. Mit Simone de Beauvoir verband Lanzmann sogar eine mehrjährige Liebesbeziehung. Ab 1952 schrieb er für die von Jean-Paul Sartre gegründete politisch-literarische Zeitschrift Les Temps Modernes, deren Herausgeber er später wurde. Er engagierte sich gegen die französische Algerienpolitik und war 1960 Mitunterzeichner des antikolonialistischen "Manifests der 121".

Ende der 1960er-Jahre begann Claude Lanzmann vermehrt Fernsehreportagen über die Nahostregion für das französische Fernsehen zu drehen. Sein großes Interesse am Staat Israel manifestierte sich 1973 in seinem dokumentarischen Kinofilmdebüt "Warum Israel" ("Pourquoi Israel"), in dem israelische Staatsbürger über das Selbstverständnis des Staates Israel und seine religiösen und politischen Grundlagen sprechen. Stilistisch legt Lanzmann hier bereits den Grundstein für seine späteren dokumentarischen Arbeiten, die einerseits von einer journalistischen Annäherung an seine Protagonisten, andererseits aber auch von ihrer Zum Inhalt: Inszenierung geprägt sind.

Die Veröffentlichung von "Warum Israel" hatte für Lanzmanns Filmkarriere weitreichende Folgen. Vom israelischen Außenministerium angefragt, einen Film über den Holocaust zu drehen, arbeitete er ab 1973 mit beharrlicher Intensität an diesem Filmprojekt, das im Jahre 1985 unter dem Titel Zum Filmarchiv: "Shoah" veröffentlicht wurde. Das seit seinem Erscheinen viel diskutierte neuneinhalbstündige Werk gilt heute als Meilenstein der Filmgeschichte. Die 1994 erschienene Dokumentation TSAHAL über die israelische Armee bildet gemeinsam mit "Shoah" und "Warum Israel" Lanzmanns filmische Trilogie.

In den späten 1990er-Jahren montierte der Regisseur das verbliebene 350-stündige Interview-Material von "Shoah" nochmals zu einzelnen, voneinander unabhängigen Filmen: 1997 entstand "Ein Lebender geht vorbei" ("Un vivant qui passe") über einen Schweizer Offizier, der während des Zweiten Weltkriegs Delegierter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in Berlin war. Mit "Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr" ("Sobibor, 14. octobre 1943, 16 heures") folgte 2001 ein Film über den Aufstand im Vernichtungslager Sobibór.

2010 schließlich entstand "Der Karski-Bericht" ("La rapport Karski"), eine 40-minütige Ergänzung des "Shoah"-Interviews mit dem polnischen Widerstandskämpfer Jan Karski. Im Jahre 2001 übernahm Claude Lanzmann eine Professur für Dokumentarfilm an der European Graduate School im schweizerischen Saas-Fee. Anfang 2009 erschienen in Frankreich seine Memoiren Der Patagonische Hase (Le Lièvre de Patagonie). 2013 wurde Claude Lanzmann mit dem Ehrenbären der Internationalen Filmfestspiele Berlin für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Er verstarb am 5. Juli 2018 im Alter von 92 Jahren.

Filmografie
1973 "Warum Israel" ("Pourquoi Israel")− 1985 "Shoah" − 1994 "Tsahal" −1997 "Ein Lebender geht vorbei" ("Un vivant qui passe") | 2001 "Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr" ("Sobibor, 14. octobre 1943, 16 heures") | 2010 "Der Karski-Bericht" ("La rapport Karski") | 2013 "Der Letzte der Ungerechten "("Le dernier des injustes") | 2017 "Napalm" | 2017 "Les quatre sœurs"