Riesige Augen, die nicht zum Kopfumfang passen. Ein Hai, der plötzlich auftaucht und sich füttern lässt wie ein zahmer Hund. Menschlich anmutende Figuren in schillernden Farben, die ineinanderfließen und stetig neue Formen produzieren: Vor allem in sozialen Netzwerken wie TikTok, Instagram oder YouTube ist ein aktualisierter Surrealismus entstanden, der geprägt ist durch die Leistungsfähigkeit von KI-Systemen und damit Millionen Nutzer/-innen erreicht.

Dabei greifen mit künstlicher Intelligenz geschaffene Video- und Bildinhalte Grundsätze des Surrealismus auf, der Anfang des 20. Jahrhunderts von Künstlern wie Salvador Dalí, Luis Buñuel und Max Ernst geprägt wurde. Surrealisten/-innen verwendeten traumhafte, unlogische oder verzerrte Bilder, um das Unbekannte und Fantastische zum Ausdruck zu bringen. Mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz und der sozialen Netzwerke fügen sich fantastische, surrealistische und realistische Bewegtbilder heute stärker zusammen als je zuvor.

Absurde Verschmelzung von Künstlichkeit und Realismus

Namhafte KI-Künstler/-innen stellen ebenso wie Technologieunternehmen oder private Nutzer/-innen Inhalte ein, die Künstlichkeit und Realismus miteinander verschmelzen lassen. Der Medienkünstler David Szauder (Zum externen Inhalt: Instagram davidzauder (öffnet im neuen Tab)) erforscht beispielsweise die Symbiose von Mensch und Maschine mittels KI-generierter Bilder und stellt diese bewusst auf Instagram aus.

Die Grundlage seiner Arbeit ist eine private Sammlung von alten und neuen Fotografien, Plakaten und Gemälden. Der Künstler erklärt dazu: "KI bietet uns die Möglichkeit, absurdere Dinge zu erschaffen. In diesem eigenwilligen Prozess, in dem ich mich befinde – von meiner Kunst bis zu meinem Instagram-Account – versuche ich, meine eigene Welt den Menschen zu öffnen – es ist, als würde ich Tag und Nacht eine Ausstellung von David Szauder besuchen, und genau diese Absurdität habe ich in KI gefunden."

Instagram-Account David Szauder (Screenshot)

Erfolgreich sind aber nicht nur renommierte Künstler/-innen. Bei TikTok und Instagram geht es oft auch nur um den Unterhaltungswert. Zeichnungen von Menschen und Tieren sind bei Kleinkindern zwar als solche zu erkennen, wirken aber oft lustig, abstrakt und wirklichkeitsfremd (Zum externen Inhalt: Instagram instagr.ai (öffnet im neuen Tab)). Wenig harmonische Proportionen, fehlende oder auch zu viele Gliedmaßen: Wie würden sich solche Tiere in der Wirklichkeit bewegen? KI macht das möglich. Heute wandeln KI-Künstler/-innen diese Bilder in kurze Videosequenzen um. Es entstehen naive, surrealistische Kunstwelten, die Komik, Fantasie und Realismus vereinen.

Instagram-Account Instag.rai (Screenshot)

KI als künstlerisches Werkzeug

Mit einer Bild- oder Video-KI kann heutzutage jeder mit kreativen Ideen experimentieren und diese ohne großen Aufwand einem Publikum mittels Social Media präsentieren. Sogenannte KI-Diffusionsmodelle wie DALL·E (von OpenAI), Midjourney oder Stable Diffusion können surrealistische Bilder erzeugen, indem sie Texteingaben interpretieren und aus riesigen Datenmengen visuelle Darstellungen schaffen. Diese Tools sind besonders beliebt bei Künstler/-innen, die in Abgrenzung zur bildenden Kunst visuelle Ideen erforschen, ohne sie selbst zu malen. Bei der sogenannten Stilübertragung wird ein KI-Modell trainiert, um den Stil eines Künstlers oder einer Künstlerin auf ein anderes Bild zu übertragen. Zum Beispiel lässt sich ein Foto nehmen und in den Stil von Salvador Dalí oder Max Ernst umwandeln.

KI als surrealistischer Zufallsgenerator

Bei der sogenannten kollaborativen Kunst arbeiten Menschen mit KI als "kreativem Partner". Sie geben Inputs, kuratieren Ergebnisse, verändern Prompts und wählen aus, was veröffentlicht wird. Auch in ihren kurzen Filmen und Reels zeigt sich, wie eng Surrealismus mit Träumen, dem Unbewussten und dem Zufall verbunden ist. KI kann durch generative Zufallsmechanismen (zum Beispiel GANs – Generative Adversarial Networks) unerwartete, traumartige Bilder erzeugen, die an Werke bekannter Surrealist/-innen erinnern. Die KI-Künstlerin Kelly Boesch bezieht sich in einem Musikvideo sogar direkt auf den Surrealisten Salvador Dalí und stellt ihn ins Zentrum ihrer Arbeit.

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Der kanadische Künstler Jon Rafman wurde damit bekannt, gefundene Bilder aus dem Internet zu abgründigen Videocollagen zu montieren (Filmglossar: Zum Inhalt: Montage). Auch er nutzt soziale Netzwerke, um seine KI-generierte Bildwelten einem breiten Publikum zur Verfügung zu stellen. Seine Arbeiten zeigen albtraumhafte Welten und Szenarien, die gleichzeitig unlogisch und unvorhersehbar wirken. Das Internet offenbart sich hier auch als eine Art Traumwelt mit eigenen (Nicht-)Regeln.


Mit 2,3 Millionen Instagram-Follower/-innen zeigt voidstomper, wie leicht und erfolgreich sich heute reale Videobilder mit KI-generierten Inhalten zu albtraumhafte Collagen verbinden lassen. Über 70 Millionen Mal wurde voidstompers Video bei Instagram aufgerufen, das Flugzeugpassagiere zeigt, die panisch auf ein spinnenartiges Wesen zeigen, das in der Kabine des Flugzeugs auftaucht.


Die rasante Entwicklung künstlicher Intelligenz in der Kunst wirft zahlreiche kritische Fragen auf. Einerseits eröffnet sie surrealistische Möglichkeiten, indem sie Träume und Fantasien unmittelbar visualisieren kann, was das kreative Potenzial enorm erweitert. Andererseits besteht die Gefahr, dass die Authentizität und Originalität von Kunstwerken infrage gestellt werden. Zudem führt die Allgegenwärtigkeit solcher Technologien dazu, dass wir uns möglicherweise bereits in einem surrealistischen Zeitalter befinden, in dem die Unterscheidung zwischen realem Erleben und computergeneriertem Content zunehmend schwerfällt. Diese Entwicklungen bergen somit sowohl kreative Chancen als auch Risiken, insbesondere im Hinblick auf die Wahrung künstlerischer Integrität und die gesellschaftliche Wahrnehmung von Kunst.

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