Kategorie: Film
"Die fetten Jahre sind vorbei"
"Vor 30 Jahren hätten wir vielleicht selbst gern so 'nen Bonzen in der Mangel gehabt", beschreibt der Mittfünfziger Hardenberg seine paradoxe Lage: Soeben wurde der Topmanager von drei jungen Leuten gekidnappt und gibt sich ihnen nun als ehemaliger '68er zu erkennen. Doch Anbiedern nützt ihm nichts, denn seine in antikapitalistischer Kritik gut geschulten Entführer/innen haben offenbar eine gefestigte Meinung darüber, was in der globalisierten Welt schief läuft und wer für soziale Ungerechtigkeiten verantwortlich gemacht werden kann.
Unterrichtsfächer
Thema
"Vor 30 Jahren hätten wir vielleicht selbst gern so 'nen Bonzen in der Mangel gehabt", beschreibt der Mittfünfziger Hardenberg seine paradoxe Lage: Soeben wurde der Topmanager von drei jungen Leuten gekidnappt und gibt sich ihnen nun als ehemaliger '68er zu erkennen. Doch Anbiedern nützt ihm nichts, denn seine in antikapitalistischer Kritik gut geschulten Entführer/innen haben offenbar eine gefestigte Meinung darüber, was in der globalisierten Welt schief läuft und wer für soziale Ungerechtigkeiten verantwortlich gemacht werden kann.
Selbstfindung und Rebellion
Der in Berlin lebende österreichische Regisseur Hans Weingartner erzählt die Geschichte einer ungeplanten "politischen" Entführung als einen humorvollen Bildungsroman über den Prozess persönlicher und politischer Selbstfindung und den Wert von Freundschaft. Mit wenig Geld hergestellt, steht die Produktionsgeschichte des Films auch für eine gewisse Rebellion gegen das deutsche Filmförderungskino: Angefangen bei den improvisierten Dialogen vor beweglicher Handkamera über Dreharbeiten unter authentischen "WG-Bedingungen" bis hin zur Verpfändung von Weingartners Elternhaus, um das Projekt zu finanzieren.
Kreativer Protest
Einen ganz eigenen Weg haben auch Jan und Peter gefunden, um ihre Wut über soziale Ungerechtigkeit allerorten zu artikulieren. Während Peters Freundin Jule neben ihrem Job als Kellnerin Flugblätter gegen die Ausbeutung in Sweatshops verteilt, ziehen die beiden Mitbewohner nachts los in die "Hochsicherheitszonen" der Reichen. In Zehlendorfer Villen hinterlassen sie ein "kreatives Chaos" aus aufgetürmten Möbeln, im WC versenkten Porzellansoldaten, gut gekühlten Stereoanlagen sowie irritierende Botschaften wie "Die fetten Jahre sind vorbei" oder "Sie haben zu viel Geld" unterzeichnet mit: "Die Erziehungsberechtigten". Geklaut wird bei den Einbrüchen (fast) nichts, denn wer hier wohnt, ist gut versichert – und Jan und Peter wollen lieber nachhaltig verunsichern.
Ein Eigentor
Jule sucht noch nach der für sie passenden politischen Widerstandsform; Demos kommen ihr "oft total sinnlos vor". Gerade wegen Mietrückstands aus ihrer Wohnung geflogen, verrät sie Jan, dass sie seit einem Unfall mit einem unversicherten Auto hoch verschuldet ist. Jan eröffnet ihr mit den verrückten Ideen der "Erziehungsberechtigten" unverhofft eine Handlungsalternative zu ihrer verfahrenen Situation. Spontan überredet Jule ihn, sich in der Villa ihres Gläubigers Hardenberg "ein wenig umzusehen". Übermütig dekorieren die beiden die Einrichtung um, werfen eine Designercouch in den Pool – und küssen sich schließlich. Als Jule aus Versehen die Gartenbeleuchtung auslöst, müssen sie überstürzt fliehen.
Moralische Verfehlungen
Später bemerkt Jule, dass sie ihr Handy in der Villa liegen gelassen hat. Auch andere Dinge fangen nun an, schief zu laufen. Jule hat die Prinzipien der "Erziehungsberechtigten" unterlaufen und den Einbruch zu einer persönlich motivierten Racheaktion gemacht. Hinzu kommt, dass sie und Jan sich verliebt haben, was die Dreier-Freundschaft schwer belastet: Sie verheimlichen Peter den Einbruch und ihre Liebe. Damit droht auch ihr Selbstbild zu wackeln, ihre Position als selbst ernannte moralische Vorbilder verloren zu gehen. Noch ist Peter ahnungslos, als ihn ein nächtlicher Hilferuf erreicht: Jan und Jule wurden beim Versuch, Jules Handy zu finden, von Hardenberg überrascht und haben ihn niedergeschlagen. Nun beschließen sie in Panik, den Millionär erst einmal zu entführen.
Konfrontation mit einem Alt-68er
In der Hütte von Jules Onkel in den österreichischen Bergen finden sie Unterschlupf. Doch die Konfrontation der drei radikalen Idealisten mit dem "Bonzen" entwickelt sich anders als erwartet: Hardenberg outet sich als ehemaliger '68er und gewinnt zunehmend Einfluss in der Gruppe. Langsam scheint er sich sogar aufrichtig von seiner bürgerlichen Existenz zu entfernen. Als er Peter auf das heimliche Verhältnis zwischen Jan und Jule hinweist, steht der Zusammenhalt der "Erziehungsberechtigten" vor der Zerreißprobe. Sie beschließen, die Aktion wegen moralischen Versagens abzubrechen und Hardenberg nach Berlin zurückzubringen. Peter und Jule können den enttäuschten Jan aber davon überzeugen, nicht ganz mit ihren Aktionen aufzuhören: "Die besten Ideen leben weiter."
Souveräne Dramaturgie
Der Konflikt in der Dreiecksbeziehung löst sich gegen Ende in fast utopisch anmutendes Wohlgefallen auf und die drei stellen ihre Freundschaft über jede "Scheiß-Moral". Weil die Machtstrategien der "Elterngeneration" aber längst durchschaut sind, kommt ein vollständiger Abbruch ihrer Aktionen für sie nicht in Frage: "Manche Menschen ändern sich nie". Weingartner baut mit diesem auf Hardenberg bezogenen Hinweis eine weitere dramaturgische Hürde auf, um sie mit einem überraschenden Schluss zu umschiffen. Ähnlich funktioniert das bereits in der vergleichsweise lang geratenen Exposition, in der die Figuren vielschichtig und an manchen Stellen mit einer gewissen Dialoglastigkeit charakterisiert werden: Weingartners kraftvoller Erzählstil, den er schon bei seinem Spielfilmdebüt <kursiv_import></kursiv_import> bewies, zeugt keineswegs von Sorglosigkeit im Umgang mit vermeintlichen "filmischen Regeln", sondern von einer großen und mitreißenden Souveränität.