Andriy Suleiman ist als Jugendlicher aus einem Kriegsgebiet geflohen und findet sich wenig später in einem anderen wieder. Die Stadt Al-Hasaka im Nordosten von Syrien hatte seine Familie aufgrund des Bürgerkriegs 2012 verlassen und sich in der Ukraine, dem Land seiner Mutter, niedergelassen. Doch ihr neuer Wohnort Lyssytschansk und der Donbass sind nun ebenfalls umkämpft: Von Russland unterstützte separatistische Milizen und die ukrainische Armee führen in der Region seit 2014 einen Krieg, der nicht nur Tote und Verletzte, sondern auch Versorgungsnot unter der zivilen Bevölkerung verursacht. Andriy, mittlerweile 20 Jahre alt, engagiert sich ehrenamtlich beim Roten Kreuz und ist konfrontiert mit der Entwurzelung seiner Verwandtschaft. Sein Bruder heiratet in Deutschland, ein Onkel lebt im Irak, der Vater sehnt sich nach Syrien. Den Heimatverlust der kurdischen Familie Suleiman erzählt
This Rain Will Never Stop als beispielhaft menschliche Erfahrung im Zeichen der Kriege.
Der Film der ukrainischen Regisseurin Alina Gorlova zeigt Situationen aus Andriys Leben in fragmentarisch-episodischer Form. Die Kamera von Vyacheslav Tsvetkov bleibt dabei in beobachtender Position und gibt nur beiläufig Hinweise auf die
Orte und Zeiträume. Der politische Kontext des Donbass-Konflikts sowie des syrischen Bürgerkriegs, aber auch die konkreten Erlebnisse der Suleimans im Rahmen dieser Ereignisse bleiben im Hintergrund. Tatsächlich lösen sich die kunstvollen
Schwarz-Weiß-Kompositionen oft von den porträtierten Menschen. So fliegt in einer
Sequenz etwa eine Kameradrohne über eine hügelige Landschaft, filmt aus der
Vogelperspektive die Texturen des steinkohlehaltigen Bodens in der Ostukraine. In zwei anderen
Szenen bilden eine Militärparade und eine Christopher-Street-Day-Demo eine assoziative Brücke. Die mäandernde Form erschafft eine poetische Abstraktion, die sich signifikant von anderen dokumentarischen Arbeiten über Displacement-Erfahrungen unterscheidet.
Im Kontext der russischen Invasion in die Ukraine bietet
This Rain Will Never Stop Anknüpfungspunkte mit Bezug auf die Region, um im Unterricht die tiefgreifenden Folgen von Kriegen für Zivilbevölkerungen zu behandeln. Grundwissen zum bereits Jahre andauernden Krieg im Donbass und zum syrischen Bürgerkrieg sollte vorab erarbeitet werden. Um die komplexe Form im Plenum zu besprechen, sollten kleinere Gruppen Beobachtungsaufgaben für die Filmsichtung bekommen:
Bildgestaltung, Familienkonstellation, Orte, Dramaturgie und
Montage des Films. Ein exemplarischer Ausschnitt zur Nachbereitung im Unterricht ist das Bild der vom Regen überschwemmten Grenzbrücke, auf das der Filmtitel verweist. Mit dieser Bildmetapher für die Trennung von der Heimat und die Ohnmacht des Einzelnen lassen sich der Ansatz des Films, aber auch die Gattungsform des künstlerischen Dokumentarfilms gut vermitteln.
Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Jan-Philipp Kohlmann, 21.03.2022, Vision Kino 2022.
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