Es ist Liebe auf den ersten Rempler. Auf dem Weg zur Schule wird die sechzehnjährige Milla vom herumstreunenden Moses umgerannt. Danach ist alles anders: Moses schneidet Milla die Haare ab und nimmt ihre Gefühle im Sturm ein. Millas Eltern reagieren entsetzt auf den augenscheinlich drogenabhängigen jungen Mann, der aus ihren Schränken Tabletten stiehlt. Sowieso liegen seit Millas Krebserkrankung die Nerven blank. Während die Mutter ihre Verzweiflung mit Beruhigungsmitteln betäubt, spritzt sich der Vater gelegentlich Morphium und flirtet mit der jungen Nachbarin. Milla ist indes nur glücklich, wenn sie mit Moses zusammen ist. Der junge Mann stört den vermeintlichen Familienfrieden, was letztendlich alle klarer sehen lässt.
Mit Milla und Moses werden zwei ungleiche Außenseiter miteinander in Beziehung gesetzt. Ähnlich wie in der Verfilmung des Romanbestsellers
Das Schicksal ist ein mieser Verräter (2014) bewirkt die erste große Liebe auch in der
Theateradaption Milla meets Moses eine Emanzipation der an Krebs erkrankten jugendlichen Hauptfigur. Zugleich verweist Moses als streitbarer Antagonist über die Krankheit hinaus, indem diese Figur ein Leben am Rande der Gesellschaft führt. Weiterhin spiegeln Millas wechselnde
Perücken und Outfits eher die Phasen ihrer emotionalen als gesundheitlichen Entwicklung. Die von den Figuren im Film gehörte oder gespielte Realmusik dient ihrer psychologischen Vertiefung – nicht der Emotionalisierung des Kinopublikums wie durch
Score-Musik. Die
elliptische Struktur und eingeblendete
Zwischentitel unterbrechen den Erzählfluss, indem schlaglichthaft Schlüsselmomente und einzelne Figuren fokussiert werden, die das komplexe Gefüge aus Todesangst, Trauer, Lebenslust und Liebe aus mehreren Perspektiven beleuchten.
In den Fächern Deutsch und Englisch bietet sich eine Analyse der filmischen Erzählweise an.
Denn durch die Brüche mit einer klassischen Dramaturgie baut die australische Regisseurin Shannon Murphy Öffnungen in die geschlossene Handlung ein, die durch Millas letale Krankheit als geradliniges Drama vorgezeichnet scheint. Zum einen vermittelt sie Konflikte authentisch durch die ausdrucksstarke und multiperspektivische Bildsprache. Diese werden so facettenreich, widersprüchlich und zersplittert präsentiert, wie sie sich in Realität anfühlen mögen. Zum anderen ermöglicht die offensichtliche Konstruiertheit des Films eine Auseinandersetzung jenseits von emotionaler Überwältigung. Die visuelle Umsetzung ist Ausdruck für das Plädoyer des Films: den lebensbejahenden Umgang mit Unterschieden, Krankheit und Tod. Neben weiteren Fragen rund um das Thema Erwachsenwerden, die insbesondere in Philosophie oder Ethik vertieft werden können, tragen daher filmanalytische Beobachtungen in sprachlichen und künstlerischen Fächern – etwa zum Aufbau, zur Figurengestaltung oder zur Musik – zum Verständnis des Films bei.
Autor/in: Marguerite Seidel, 07.10.2020
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