Amelie hat die Nase gestrichen voll. Von ihren Eltern, die sich getrennt haben und
denen es damit scheinbar gut geht, von der Spezialklinik in den Südtiroler Alpen, in der sie drei Monate verbringen soll, von ihrer nervigen Zimmernachbarin Steffi dort, und erst recht und vor allem von dem Asthma, das ihr den erzwungenen Aufenthalt in den Bergen eingebrockt hat. Amelie ist chronisch krank und braucht nach einem lebensbedrohlichen Asthma-Anfall unbedingt Hilfe. Aber eigentlich will das 13-jährige rebellische Mädchen aus Berlin doch nur gesund sein und so leben wie alle anderen in ihrem Alter auch.

Eine Großstadtgöre in den Bergen

"Warum muss ausgerechnet ich dieses Scheiß-Asthma haben? Mir fallen ungefähr 20 Leute ein, zu denen das viel besser passen würde!", sagt Amelie einmal trotzig. Sie ist so stur und selbstbezogen, dass ihre Eltern keinen Zugang mehr zu ihr finden. Als sie in der Klinik ein Gespräch mithört, in dem es darum geht, dass sie eine "harte Nuss" sei, die "geknackt" werden müsse, reicht es Amelie endgültig. Sie will sich nicht von anderen verbiegen lassen und über sich selbst bestimmen. Deshalb sucht sie schon nach wenigen Tagen in der eigentlich idyllisch gelegenen Klinik auf eigene Faust das Weite.

Amelie rennt, Filmszene (© Farbfilm Verleih)

Auf ihrer Flucht läuft sie ausgerechnet Bart in die Arme. Amelie hält nicht viel von dem rothaarigen, sommersprossigen Naturburschen, der etwas älter als sie ist und sich im Bauernhof neben der Klinik um die Kühe kümmert. Aber als er ihr von dem traditionellen Fest erzählt, das auf dem Gipfel des Bergs gefeiert wird, wird sie hellhörig. Krankheiten sollen geheilt werden, wenn man über das Feuer springt. Und genau das ist es, was Amelie braucht – Aberglaube hin oder her. Weil er ahnt, dass das Mädchen aus der Stadt allein in den Bergen verloren ist, beschließt Bart, sie zum Gipfel zu führen.

Der Beginn einer Freundschaft

Die Gegensätze könnten nicht deutlicher sein: Das Mädchen aus der Großstadt hier, das schon an der ersten Flussüberquerung scheitert, Höhen unterschätzt und keinen Schimmer davon hat, wie gefährlich ein Gewitter in den Alpen ist. Der bodenständige Bauernjunge dort, der durch seine Herkunft eng mit den ländlichen Traditionen verbunden ist (auch wenn er nicht an die Mythen glaubt) und durch die Nähe zur prächtigen Natur seit jeher ein anderes Verhältnis zum Leben und seiner Rolle in der Welt hat. Von Amelies schlechter Laune lässt Bart sich nicht anstecken. Mit seinem trockenen Humor jedoch führt er sie immer wieder vor. Die amüsanten und schnellen verbalen Schlagabtäusche zwischen Amelie und Bart erinnern an eine Screwball-Komödie, wenngleich ohne die für dieses Zum Inhalt: Genre typischen doppeldeutig-schlüpfrigen Konnotationen. Und natürlich überspielen beide damit nur die Zuneigung, die sie in Wirklichkeit längst füreinander empfinden, aber nicht zugeben wollen.

Abenteuer in den Dolomiten

Einen eindrucksvollen Zum Inhalt: Schauplatz für die Zum Inhalt: Coming-of-Age-Geschichte stellen die Dolomiten dar. Zu einem Zwei-Personen-Stück wird der Film vor der Kulisse der Südtiroler Alpen – und der Film tut gut daran, nicht auf äußere Hindernisse und Ereignisse zu setzen, um die Handlung dramaturgisch voranzutreiben. Die Natur bleibt vielmehr die Kulisse, vor deren Hintergrund sich Amelie entwickelt. In ihrer Schroffheit spiegelt sie das Verhalten von Amelie, ihre Weite wirkt wie ein Versprechen. Der Anstieg zum Gipfel wird zur körperlichen Herausforderung für die gesundheitlich geschwächte Protagonistin und "Amelie rennt" gewissermaßen auch zu einem Abenteuerfilm.

Amelie rennt, Filmszene (© Farbfilm Verleih)

Eine chronische Krankheit als reales Hindernis und Metapher

Vor allem in den ersten Zum Inhalt: Szenen macht "Amelie rennt" sichtbar, was das Leben mit einer chronischen Krankheit wie Asthma bedeutet. Überaus dramatisch wird der plötzliche Atemstillstand von Amelie inszeniert, der beinahe zu ihrem Tod führt und mit dem auch ihre beiden Klassenkameradinnen nicht umgehen können. Als Freundinnen will Amelie diese lieber nicht bezeichnen, ist sie doch fest davon überzeugt, dass sie sich nur aus Mitleid mit ihr abgeben. Zugleich schildert der Film so die soziale Auswirkung der Erkrankung und beleuchtet auch die Scham, die für Amelie damit verbunden ist. Um keinen Preis will sie Bart zeigen, dass sie beim Aufstieg unter Atemnot leidet. Ihre Erkrankung ist ein Makel, den sie – erst recht in der Lebensphase Pubertät – überhaupt nicht gebrauchen kann.

In diesem Zusammenhang zeigt sich auch, wie der Film, der auf autobiografischen Erfahrungen der Zum Inhalt: Drehbuchautorin Natja Brunckhorst und ihrer Tochter basiert, das Asthma als Metapher versteht. Die Erkrankung ist eine ungeliebte Eigenschaft, ein Hindernis für Amelie, so sein zu können, wie sie eigentlich sein will. Sie ist eine Last, die sie mit sich herumschleppt, die zu ihr gehört, aber die sie erst noch als Teil ihrer selbst akzeptieren muss. Wenn sie am Ende gemeinsam mit Bart auf dem Gipfel über das traditionelle Feuer springt, dann verschwindet das Asthma nicht auf wundersame Weise. Das wahre Wunder ist vielmehr, dass Amelie ausgerechnet an dem Ort, an dem sie es nicht für möglich gehalten hat, nicht nur sich selbst, sondern auch noch einen Menschen gefunden hat, der sie versteht und in all ihrer Sturheit und mit all ihren Schwächen so akzeptiert, wie sie ist.

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