Der Film
Königin von Niendorf erzählt am Beispiel der Protagonistin Lea von alltäglichen Erfahrungen einer Kindheit auf dem Land. In der folgenden Videoanalyse erklärt kinofenster.de, wie der Film in seiner Bildgestaltung eine Nähe zu seinen Kinderfiguren aufbaut und versucht, sich ihrem Blick auf die Welt anzunähern.
Video-Analyse – Die Kamera in Königin von Niendorf
Im Folgenden können Sie die Video-Analyse auch im Textformat nachlesen:
Die Schule ist aus, ein langer Sommer steht bevor und ausgerechnet jetzt hat sich Lea von ihrer besten Freundin entfremdet.
Königin von Niendorf, der Debütfilm von Joya Thome, erzählt unaufgeregt von einer relativ alltäglichen Kindheitserfahrung.
Über ihren Film sagt die Regisseurin: "Ich wünsche mir, dass Kinder sich in der Geschichte wiederfinden und dass Erwachsene für die Länge des Films die Perspektive wechseln und die Welt aus einer Kindersicht sehen können." Filme können uns nicht im wörtlichen Sinne in die Perspektive von jemand anderem versetzen. Sie können jedoch eine ästhetische Erfahrung sein, die uns ermöglicht, auf eine andere Art und Weise zu schauen – und das wesentliche Instrument dafür ist die
Kamera.
Bildkomposition und Kameraperspektive
Einige Aspekte der Kameraarbeit entsprechen dabei durchaus verbreiteten Konventionen filmischen Erzählens. Viele
Szenen beginnen etwa mit einem klassischen
Establishing Shot, der in einer Totalen einen neuen Schauplatz vorstellt und so Orientierung im filmischen Raum schafft. Andere Aspekte wie das
Bildformat des Films sind hingegen auffälliger und sollen offenkundig dazu beitragen, die "Welt aus einer Kindersicht zu sehen", wie es die Regisseurin formuliert. Heutzutage benutzen fast alle Filmproduktionen – etwa der 2017 erschienene
Kinderfilm Amelie rennt – eines der verschiedenen Breitbildformate.
Königin von Niendorf ist hingegen im fast quadratischen 4:3-Format gefilmt.
Das Bild ist also vergleichsweise schmal und bei den zahlreichen
Close-ups und halbnahen Einstellungen füllen die Gesichter fast den gesamten
Bildkader. Vom Hintergrund sieht man oft nur wenig. Die Weite der brandenburgischen Landschaft kommt im 4:3-Format nicht zur Geltung. Das ist auch dann so, wenn die Einstellungsgröße eine Totale oder Halbtotale ist, weil die Bilder meist wenig
Tiefenschärfe aufweisen: Die Kinder im Bildvordergrund sind im Schärfebereich, die Umgebung im Hintergrund verschwimmt.
Nähe zu den Kindern, Distanz zu den Erwachsenen
So schafft die Kamera konsequent eine Nähe zu den Kinderfiguren und bleibt perspektivisch auf Augen- oder Schulterhöhe mit ihnen. Leas Gefühle, ihre Einsamkeit, ihren Wunsch nach Anschluss, aber auch ihre Neugier vermittelt der Film vor allem durch die Wahl der Kameraperspektive. Die Welt der Kinder erscheint in diesen
Bildkompositionen vertraut und überschaubar. Selten unter der Aufsicht von Erwachsenen, begreifen sie die Umgebung von Niendorf als eine Spielwiese, die es zu erkunden gilt.
Auf die Welt der Erwachsenen schaut der Film hingegen nur dann, wenn sie auch für die Kinder von Interesse ist. So nimmt die Kamera den neugierigen Blick der Kinder ein, wenn sie versuchen, den Geheimnissen der Erwachsenen auf die Spur zu kommen. In anderen Szenen verbannt die
Mise-en-scène die Erwachsenen sogar ganz aus dem Bildkader. Leas Eltern, die kaum Zugang zur Gefühlswelt ihrer Tochter finden, sind im ganzen Film entweder nur aus dem Off zu hören oder bleiben angeschnitten und unscharf im Bildhintergrund.
Leas Blick auf die Welt
Von allen Kinderfiguren steht die Protagonistin Lea eindeutig im Mittelpunkt der Geschichte. Sie ist nicht nur in fast jeder Szene des Films zu sehen, sondern wird auch durch die Art der Inszenierung hervorgehoben. Die Kamera beobachtet sie bei ihren einsamen Streifzügen durch die Felder und charakterisiert sie behutsam als eigenwillige und melancholische Heranwachsende. In diesen
Sequenzen, die kaum den Fortgang der Handlung vorantreiben, entsprechen auch die Lichtstimmung und
Farbgebung dem Empfinden der Protagonistin. Einige Szenen spielen in der Dämmerung und die Farben sind auch bei Tageslicht eher matt, nicht sommerlich-leuchtend.
Kein Stilmittel verdeutlicht die Empathie der Kamera mit der Protagonistin besser als die zahlreichen
subjektiven Einstellungen: Lea beobachtet die Jungen des Dorfs aus der Ferne, die Kamera nimmt ihren Blick ein und ein
Gegenschuss zeigt ihr Gesicht in einer Großaufnahme.
Anhand der Bildgestaltung von Kamerafrau Lydia Richter lässt sich nachvollziehen, inwiefern
Königin von Niendorf ein Kinderfilm ist, also ein Film
für eine kindliche Zielgruppe: Die filmästhetische Annäherung an eine Kindheitserfahrung liegt nicht in der Abstraktion, sondern in der konkreten Einfühlung in die kindliche Protagonistin.