Der Dokumentarfilm
Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann versucht, mit filmischen Mitteln die Wahrnehmungswelt von Menschen mit Autismus zu veranschaulichen. Unsere Videoanalyse zeigt, wie der Film dabei vorgeht.
Videoanalyse: Töne, Farben, Licht und Details (© kinofenster.de, 2022)
Der Dokumentarfilm
Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann will die spezielle Wahrnehmung nonverbaler autistischer Menschen vermitteln. Die formale Gestaltung bezieht das neurotypische Publikum ein.
Erzähler: "Es sind Linien und Oberflächen, die meinen Blick fesseln."
Ein Off-Erzähler zitiert Passagen aus der
Buchvorlage des Autisten Naoki Higashida. Ein wiederkehrender Junge personifiziert den damals 13-jährigen Autor.
Erzähler: "Aus eurer Perspektive muss die Welt der Autisten sehr befremdlich erscheinen."
Die Eindrücke aus dem Buch unterfüttern die Porträts fünf autistischer Menschen: Joss, Amrit, Ben und Emma, Justine. Teilnehmend begleitet die Kamera sie in ihrem Erleben.
Die Beobachtungen zeigen die autistische Lebenswelt von außen. Besonders ausdrucksstark sind die Zeichnungen, in denen Amrit ihr Innenleben ausdrückt.
Über die teilnehmenden Bilder hinaus werden visuelle und auditive Gestaltungsmittel verwendet. Ein spezieller 360°-Atmo-Sound ahmt ungefilterte Höreindrücke autistischer Menschen nach. Das
Tondesign modelliert akustische Überforderung.
Die Bildebene zielt auf die Vermittlung
subjektiver Seheindrücke.
Erzähler: "Wenn du ein Objekt siehst, erscheint es dir zunächst als Ganzes. Erst dann betrachtest du seine Details."
Die Quelle dafür sind die Schilderungen aus der Buchvorlage.
Erzähler: "Mich dagegen springen sofort die Details an. Und erst die Summe aller Details gibt mir langsam eine Vorstellung vom großen Ganzen."
Detailaufnahmen sind das visuelle Mittel der Wahl. Amrit lernen wir über Lichtspiele aus ihrem Zimmer kennen. Unschärfen und Lichtflimmern visualisieren fehlenden Überblick und Reizüberflutung.
Amrits Mutter: "Amrit nimmt Dinge wahr, die die meisten Menschen nicht wahrnehmen."
Hier greift eine
Zeitlupe das innere Befinden auf.
Joss: "Aber wenn ich springe, kann ich die Fesseln abwerfen, die mich zu Boden ziehen. Meine Gefühle sind frei. Ich fühle mich so leicht."
Spiegelungen verweisen auf die Schnittstelle zwischen Innenwelt und Außenwelt.
Kräftige Farben und
aufwühlende Musik drücken die Intensität der Freude aus.
Joss' Mutter: "Joss, alles ist blau, alles ist rot.“
Joss: "Wir sind im Farbenzelt!"
Auch die
Montage trägt zur Vermittlung bei. Hier machen Zwischenschnitte Justines sprunghafte Wahrnehmung nachfühlbar. Die beschleunigte Frequenz stellt die Reizüberflutung dar.
Joss: "Mami hat den Rasensprenger in der Nr. 80 angemacht."
Um zu zeigen, wie autistische Menschen unvermittelt intensive Erinnerungen durchleben, werden ältere Videoaufnahmen in die Gegenwartsebene montiert.
Joss: "Das Problem mit meinen Erinnerungen ist: Sie kommen mir plötzlich zu Bewusstsein, als hätten die Ereignisse in dem Moment stattgefunden. Und die dazugehörigen Emotionen überwältigen mich wie ein Sturm aus dem Nichts."
Inhalt und Form reflektieren sich gegenseitig. Die audiovisuelle Gestaltung unterstützt das Anliegen, Außenstehenden die autistische Wahrnehmung ein Stück begreifbarer zu machen.
Joss' Vater: "Mit Joss lebt man im Moment. Man lässt los, was wir alle mit uns rumschleppen und was uns davon abhält, im Hier und Jetzt zu leben."