"Bücher lesen, Musik machen, im Fluss schwimmen und nachts tanzen gehen." So verlebt der 17-jährige Elio 1983 einen unbekümmerten Sommer in einer Kleinstadt in Norditalien. Jahr für Jahr bezieht seine italoamerikanische Familie dort eine pittoreske Villa – stolzer Besitz von Elios Eltern. Der Vater ist Professor für antike Kunstgeschichte, die Mutter Übersetzerin, und unter dem Einfluss seiner gebildeten und antiautoritären Eltern ist Elio als "Wunderkind" herangewachsen, das sich mühelos an akademischen Gesprächen beteiligt. Zur Ferienroutine gehört, dass für einige Wochen auch ein Promotionsstudent bei der Familie wohnt, um ein Praktikum bei Elios Vater zu absolvieren. Der diesjährige Sommergast aus den USA heißt Oliver und schindet nicht nur bei den Frauen des Ortes Eindruck. Elio verliebt sich in den jungen Mann.
Mit
Call Me By Your Name hat der italienische Regisseur Luca Guadagnino das gleichnamige Buch des US-amerikanischen Schriftstellers André Aciman
verfilmt, beschränkt im
Drehbuch jedoch die 20 Jahre umfassende Handlung des Romans auf die flüchtige Sommerromanze. Die Begegnung zwischen Elio und dem einige Jahre älteren Oliver ist gleichsam eine sinnliche wie intellektuelle Verführung: In belesenen, teils etwas hochtrabenden Dialogen wechseln die Figuren ständig zwischen Englisch, Italienisch und Französisch. Stilistisch sieht sich Guadagnino selbst in der Nachfolge des europäischen Autorenfilms: "
Call Me By Your Name ist auch eine Hommage an meinen eigenen Vater und an meine Film-Väter: Renoir, Rivette, Rohmer und Bertolucci." (Presseheft) Mit seinen malerischen
Schauplätzen, der sonnigen
Farbgebung und den eleganten
Kamerafahrten schwelgt der Film in Schönheit, betont aber auch, dass sie stets vergänglich ist.
Call Me By Your Name, Szene (© Sony Pictures Releasing GmbH)
Gerade in dieser Hinsicht liefert eine Filmanalyse zahlreiche Anknüpfungspunkte für den Oberstufenunterricht in Kunst, Deutsch oder Englisch. Dabei sollte beachtet werden, wie die
Mise-en-scène des Films die zögerliche Annäherung zwischen Elio und dem älteren Oliver einfängt – ein kontrastreicher Vergleich zu Thomas Manns "Tod in Venedig" würde sich anbieten. Wie vermittelt die Kamera die ausgelassene Atmosphäre eines Sommerurlaubs, wie nimmt sie
Elios begehrenden Blick ein? Die Motive Schönheit, Begehren und Vergänglichkeit ziehen sich durch die gesamte Kunstgeschichte, und so setzt der Film bewusste Bezüge zu vergangenen Epochen, etwa wenn Oliver und Elios Vater sich über die Erotik antiker Büsten unterhalten. Auch den Körpern der Protagonisten gilt besondere Aufmerksamkeit, und dem Medium entsprechend entdeckt der Film deren Sinnlichkeit vor allem in Bewegung: beim Schwimmen, Radfahren, Laufen, Tanzen – und schließlich beim Liebesspiel. Das Geschlecht und der Altersunterschied der Liebenden spielen dabei, selbst für Elios Eltern, keine Rolle; ein guter Diskussionseinstieg für den Begriff der Liebe in Ethik oder Philosophie.
Autor/in: Jan-Philipp Kohlmann, 26.02.2018
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