Während die US-Truppen nach dem Krieg gegen die Taliban ihren Abzug aus Afghanistan vorbereiten, führen Kindernomaden im gebirgigen Norden des Landes einen Überlebenskampf, in dem sie völlig auf sich allein gestellt sind: Manche gewinnen Metall aus altem Kriegsgerät und bringen es zum Schrotthändler. Andere entschärfen Landminen und verkaufen den Sprengstoff wiederum an Minderjährige, die in uralten Minen Lapislazuli abbauen. Und dann ist da noch eine Bande von jugendlichen Reitern, die Schmugglerkarawanen überfallen und ihrerseits Handel treiben mit Opium und Edelsteinen. Ihr Anführer träumt davon, den alten Königen nachzufolgen, die vor vielen Jahrhunderten im Land herrschten, lange bevor ausländische Armeen in Afghanistan eindrangen.
In
Das Land der Erleuchteten setzt sich Pieter-Jan De Pues auf faszinierende Weise über die Grenzen des Dokumentarischen hinweg. So nutzt der belgische Regisseur Elemente des fiktionalen Films, Verfremdungseffekte und Irritationsmomente, um mit der Erwartung einer objektiven Annäherung an die Wirklichkeit zu brechen. Reportageähnlichen, mit Handkamera gefilmten
Szenen setzt er surreal anmutende Bilder von Panzerwracks und Militärruinen entgegen oder eindrucksvoll komponierte
Panoramen der Gebirgslandschaft, über die Wolken und Wind im
Zeitraffer hinwegfegen. Hart
geschnittene Sequenzen von US-Soldaten, die von ihrem Außenposten aus auf unsichtbare Feinde schießen, werden mit langsam
überblendeten Einstellungen der Reiter kontrastiert, die in Zeitlupe karge Schnee- und Geröllwüsten durchqueren. Unterstützt von einem
Soundtrack, der von afghanischer Musik über Bach bis zu Techno reicht, stellt De Pues Inszenierung die Fremdheit der Amerikaner heraus. Dagegen betont er die Eingebundenheit der Kinder in die extreme Landschaft Afghanistans – und zugleich die in die Jahrtausende alte Landesgeschichte: So etabliert De Pues den Bandenanführer als Erzähler, indem er ihn als
Voice Over den Ursprungsmythos seiner Heimat erzählen lässt und dabei seine eigene Existenz mit dieser Legende verknüpft.
Das Land der Erleuchteten, Trailer (© Real Fiction)
Im schulischen Einsatz eignet sich
Das Land der Erleuchteten besonders, um bei Schülern/innen Interesse für die Situation von vom Krieg betroffenen Jugendlichen zu wecken – zumal De Pui diese weniger als Opfer zeigt, sondern vielmehr, wie sie mit Kreativität und Widerstandskraft ihren harten Alltag bestehen. Der Film kann so etwa im Rahmen des Ethik- oder Gemeinschaftskundeunterrichts als Ausgangspunkt dienen, um die Folgen militärischer Konflikte für Gesellschaften zu thematisieren – oder auch den Sinn und die Grenzen militärischer Interventionen. Im Fach Deutsch regt der Film zur Beschäftigung mit Legenden und Mythen an. Aufgrund seiner Vermischung fiktionaler und dokumentarischer Elemente bietet sich De Puis Film darüber hinaus an, den Blick für die Konstruktion von Wirklichkeit speziell in dokumentarischen Filmen und TV-Formaten zu schärfen und diesen Aspekt zu problematisieren.
Autor/in: Jörn Hetebrügge, 08.12.2016
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