Der Deutsche Ethikrat ist ein unabhängiges Gremium, das über grundlegende gesellschaftliche Debatten aufklärt und Empfehlungen für die Politik ausspricht. Im Fernsehfilm
Gott, nach einem Bühnenstück von Ferdinand von Schirach, ähnelt die öffentliche Sitzung des Rats aus dramaturgischen Gründen einem Gerichtsprozess. Der Fall eines Mannes, 78 Jahre alt, steht hier beispielhaft für eine allgemeingültige Frage: "Soll ein Mensch einen Anspruch darauf haben, dass ihm Ärzte dabei helfen, sein Leben zu beenden?" Nach dem qualvollen Krebstod seiner Frau möchte Herr Gärtner autonom über seinen Tod entscheiden können. Im Diskurs um diese Art der Sterbehilfe, den sogenannten assistierten Suizid, sind sich die Sachverständigen des Ethikrats uneinig: Aus Sicht einer Juristin ist das "Recht auf selbstbestimmtes Sterben" im Grundgesetz gegeben; ein Mediziner hingegen sieht Suizidbeihilfe im Konflikt mit der ärztlichen Berufsethik; aus der Perspektive eines Bischofs wiederum verstößt sie gegen das fünfte Gebot ("Du sollst nicht töten").
Am Ende blickt die Vorsitzende in die Kamera: "Was denken Sie?" Wie bereits in der
Adaption von Schirachs
Terror – Ihr Urteil ist auch
Gott als interaktives TV-Event angelegt. Nach der Ausstrahlung können die Zuschauenden über Herrn Gärtners Wunsch abstimmen – ein Meinungsbarometer vor aktuellem Hintergrund. Während der ehemalige Anwalt Schirach noch an seinem Stück arbeitete, wurde das Thema im Februar 2020 juristisch neu bewertet: Das Bundesverfassungsgericht kippte das gesetzliche Verbot gewerblicher Sterbehilfe; Sterbehilfevereine sowie Ärztinnen und Ärzte, die Suizidbeihilfe leisten, machen sich nicht mehr strafbar. Nach dieser Entscheidung erscheint die Debatte letztlich nicht so ergebnisoffen, wie der Film vorgibt. Auch wenn ethische Bedenken – etwa der Verweis auf die Euthanasie-Verbrechen im Nationalsozialismus – viel Raum bekommen, gibt Schirach den liberaleren Positionen mehr Gewicht. Die Tendenz zeigt sich auch in der Regie von Lars Kraume: Wenn Gärtners Anwalt (Lars Eidinger) sein Schlussplädoyer inmitten des Publikums hält – Symbol einer "offenen Gesellschaft" –, befreit sich auch die bis dahin fast durchgängig starre Kamera in zwei
Kreisbewegungen.
Gott beleuchtet das seit Jahrzehnten kontrovers diskutierte Thema in
Dialogen voller historischer und moralphilosophischer Referenzen. Im Unterricht ist es daher sinnvoll, die verschiedenen Diskursebenen im Detail zu betrachten. Zunächst können die vier Arten von Sterbehilfe (passiv, indirekt, assistiert, aktiv) definiert und ihre Bedeutung für die Debatte im Film untersucht werden. Welche Argumente beziehen sich auf Herrn Gärtners Anliegen (assistierter Suizid), welche auf die in Deutschland verbotene aktive Sterbehilfe ("Tötung auf Verlangen")? Für den Deutsch-Unterricht finden sich hier anschauliche Beispiele für verschiedene rhetorische Strategien: Bezieht der Film selbst, etwa durch die Figurenzeichnung, Position? In Ethik oder Religion bietet sich ein Vergleich mit der Situation in den Benelux-Staaten an; dabei sollten die seit dem Urteil in Karlsruhe unklare Rechtslage und der Streit um das Mittel Natrium-Pentobarbital thematisiert werden. Des Weiteren kann man die Perspektiven der Stellvertreter-Figuren innerhalb des Films diskutieren. Es gibt nämlich durchaus konträre Stimmen innerhalb der Kirchen respektive der Ärzteschaft.
Aufgabe: Hinführung zum Film Gott
Fächer: Ethik, Philosophie, Deutsch, Politik ab Klasse 9, ab 14 Jahren
Vor der Filmsichtung:
a) Tauscht euch im Plenum darüber aus, was ihr bereits über Sterbehilfe wisst. Seht euch anschließend das
Erklär-Video zum Thema auf planet-wissen.de an.
b) Sollten Menschen Sterbehilfe in Anspruch nehmen können? Bezieht dazu Stellung und notiert eure Meinung mit Begründung.
c) Teilt euch in vier Gruppen ein, die schwerpunktmäßig an je einem der folgenden Themen arbeiten werden:
• Haltung ausgewählter Religionen zur Sterbehilfe
• gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe in Deutschland
• gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe in anderen Ländern
• Perspektiven von Patient/-innen und ärztlichem Fachpersonal auf die Sterbehilfe
Während der Filmsichtung:
d) Macht euch Notizen zu dem Schwerpunkt eures Gruppenthemas.
e) Nach drei Minuten wird im Film gefragt: "Soll ein Mensch, wie Herr Gärtner, einen Anspruch darauf haben, dass ihm Ärzte dabei helfen, sein Leben zu beenden?". Haltet an dieser Stelle den Film an und holt mit der Daumenprobe ein persönliches Stimmungsbild der Lerngruppen ein bevor der Film weitergeht.
(
Daumen hoch: ja;
Daumen gesenkt: nein;
Daumen waagerecht: unentschieden)
Nach der Filmsichtung:
f) Am Ende des Films kommt es zur Unterbrechung der Sitzung und zur Abstimmung, die nicht gezeigt wird. Nutzt diese Unterbrechung und stimmt in eurer Klasse ab: Wer ist dafür, dass Menschen wie Herr Gärtner, einen Anspruch darauf haben, dass ihm Ärzte dabei helfen, sein Leben zu beenden? Vergleicht das Resultat mit dem Ergebnis aus Aufgabe e). Erklärt mögliche Abweichungen.
g) Der Film
Gott ist die
Adaption des gleichnamigen Theaterstücks. Welche filmästhetischen Mittel deuten darauf hin? Geht dabei unter anderem auf
Schauplätze,
Kamerabewegungen und
Montage ein.
h) Findet euch in den Gruppen aus Aufgabe c) zusammen und vergleicht eure Ergebnisse. Erweitert sie durch eine vertiefende Recherche. Dafür könnt ihr unter anderem folgende Links benutzen:
Haltung ausgewählter Religionen zur Sterbehilfe:
- Religionen-entdecken.de: Sterbehilfe in der Gesellschaft
- bpb.de: Sterbehilfe im Judentum
- bpb.de: Sterbehilfe – Das sagt der Islam
Gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe in Deutschland:
- quarks.de: Sterbehilfe – Deshalb ist die Rechtslage so verwirrend
- bpb.de: Paragraf 217
Gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe in anderen Ländern:
- dhgs.de: Blick über die Grenzen
- bpb.de: Infografik Sterbehilfe
Perspektiven von Patient/-innen und ärztlichem Fachpersonal auf die Sterbehilfe
- süddeutsche.de: Bekannte Fälle von Sterbefälle
- tagesspiegel.de: Sterbehilfe-Prozess in Berlin
- aerztekammer-bw.de: Sterbehilfe
- Homepage der Universität Witten/Herdecke: Sterbehilfe: Befragung beleuchtet Haltung und Praxis bei medizinischem Personal in Deutschland
Weiterführende Informationen zur Sterbehilfe findet ihr hier:
bpb.de: Schwerpunkt Sterbehilfe
i) Erstellt selbst ein Erklärvideo zu eurem thematischen Schwerpunkt
oder
Stellt euer Thema in Form einer Gruppenpräsentation vor.
Für die Sekundarstufe I:
j) Schreibt als Herr Gärtner einen Brief an eure Familie. Erklärt eure Haltung in Bezug auf die getroffene Entscheidung und euer Leben.
Für die gymnasiale Oberstufe:
k) Schreiben Sie einen philosophischen Essay zu einer der zentralen Fragen des Films:
- Halten Sie es für richtig, falls Herr Gärtner Natrium-Pentobarbital bekäme?
- Halten Sie es für richtig, einem Menschen ohne chronische Schmerzen ein tödliches Medikament zu geben?
Autor/in: Jan-Philipp Kohlmann (Filmbesprechung), Stefanie Schnier (Arbeitsblatt), 20.11.2020
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