Am 3. Dezember 1988 trafen die Fußball-Mannschaften von Dinamo Bukarest und Steaua Bukarest im verschneiten Dinamo-Stadion aufeinander. Unter dem kommunistischen Regime von Staatspräsident Nicolae Ceaușescu besaßen die Bukarester Lokalderbys große politische Brisanz. Dinamo unterstand der Geheimpolizei Securitate, Steaua war der inoffizielle Armeeverein: „Rumäniens wichtigste Machtgruppen“, wie Regisseur Corneliu Porumboiu einmal anmerkt. Für Porumboiu ist das Spiel rückblickend allerdings vor allem von persönlichem Interesse. Schiedsrichter der Partie war sein Vater Adrian, mit dem er sich 25 Jahre später noch einmal eine alte Videoaufzeichnung ansieht. Dabei streift ihr Gespräch neben den politischen Aspekten der Begegnung immer wieder die Familiengeschichte der Porumboius – sowie die taktischen und technischen Finessen beider Teams auf dem Feld.
Im Grunde gibt es in
Al doilea joc - The Second Game nicht mehr zu sehen als die historischen Fernsehbilder in einer beklagenswerten Video-Qualität. Doch die erhellenden und stellenweise trocken-komischen
Off-Kommentare von Corneliu und Adrian Porumboiu ziehen eine ungeahnte Bedeutungsebene ein, die viel über die politische und gesellschaftliche Rolle des Fußballs im kommunistischen Rumänien – aber auch über ihr Vater-Sohn-Verhältnis – verrät. Zwar mutet die formal strenge
Kadrierung – das Spiel wurde mit nur zwei Kameras aufgezeichnet – im Vergleich mit der Dynamik heutiger Sportübertragungen unglaublich behäbig an. Dennoch entwickelt das Spiel einen ganz eigenen Reiz, weil die Aufmerksamkeit immer wieder auf Nebenaspekte der Begegnung gelenkt wird. So erklärt Adrian Porumboiu, dass die Kamera-Regie bei Rangeleien absichtlich vom Spielfeld ins Publikum schwenkte, da unsportliches Verhalten nicht zum sozialistischen Sport-Ethos passte.
Angesichts der politischen Umstände des Fußballspiels bietet es sich natürlich an, die Geschichte Rumäniens und die Hintergründe der Revolution von 1989 zu recherchieren. Aber die formalen Aspekte des Films sind nicht minder interessant, weil der Regisseur mit dem alten Material eine Art Medienarchäologie betreibt. Anhand der Kameraarbeit lässt sich zum Beispiel sehr anschaulich vergleichen, wie stark sich die Sehgewohnheiten des Fernsehpublikums in den letzten 25 Jahren verändert haben (schnellere Schnitte, mehr Kameras, mehr Naheinstellungen der Spieler). Kann man mit Hilfe der alten Aufnahmen also die These stützen, dass Sportereignisse im Fernsehen heutzutage Event-Charakter besitzen? Zudem liefert der Dokumentarfilm reichlich Anschauungsmaterial für die gesellschaftliche Rolle des Fußballs – nicht nur in Rumänien. Die einzelnen Aspekte können in Gemeinschaftsarbeit zusammengetragen werden. Darüber hinaus ist
Al doilea joc - The Second Game ein gutes Beispiel für die Bedeutung von Archivmaterial („found footage“) als historischem Dokument.
Autor/in: Andreas Busche, 04.12.2014
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