Der elfjährige Santino ist überall und nirgends zu Hause. Gemeinsam mit seiner Familie reist er im Wohnmobil durch Deutschland und hält immer nur für begrenzte Zeit an einem Ort an. Denn Santino ist ein Zirkuskind: Er lebt im Circus Arena, den sein Urgroßvater "Opa" Ehe mit Frau und Kindern gegründet hat und als Direktor leitet. Santinos Mutter Angie ist Luftakrobatin, sein Vater Gitano Artist, auch viele Onkel, Tanten und die Großeltern arbeiten im Familienbetrieb. Um das große Zelt auf- und abzubauen, die Pferde, Rinder und Kamele zu versorgen und die Vorstellungen durchzuführen, müssen alle mithelfen, selbst Santino, sein kleiner Bruder Giordano und ihre Cousinen und Cousins. Trotzdem geht Santino zur Schule – immer da, wo der Zirkus gerade Station macht. Außerdem trainiert er Flickflack und Salto, damit er irgendwann mit seiner eigenen Nummer auftreten kann. Für ihn ist klar: Seine Zukunft liegt in der Manege.

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Eine Zirkusfamilie zwischen Gestern und Morgen

Schon seit Generationen wird diese Lebensweise in der Familie weitergegeben. Auch Opa Ehe wuchs im Zirkus auf. Seine Erinnerungen an die Freundschaft zum Elefanten August, seine große Liebe Isolde, aber auch die Geschichte der Verfolgung seiner Familie zur Zeit des Nationalsozialismus erzählt er Santino. Urgroßvater und Urenkel verbindet eine enge Beziehung, die im Mittelpunkt des Zum Inhalt: Dokumentarfilms steht. Ihre beiden Perspektiven bringen die verschiedenen Zeitebenen zusammen und strukturieren die Filmhandlung, die zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechselt. Der eine feiert seinen elften Geburtstag, steht ganz am Anfang seines Lebens und seiner Zirkuskarriere, der andere wird 80 Jahre alt, blickt zurück und bringt dem Nachwuchs die Werte und die Geschichte dieser besonderen Gemeinschaft nahe. Die Leidenschaft für das Leben im Zirkus verbindet offenkundig beide.

Sensible Alltagsbeobachtung und animierte Erinnerungen

Für den ersten im Rahmen der Förderinitiative "Der besondere Kinderfilm" produzierten Dokumentarfilm haben die Zum Inhalt: Regisseurinnen Julia Lemke und Anna Koch Santino und Ehe durch ihren Alltag in Frühling, Sommer, Herbst und Winter begleitet. Dabei ist ein einfühlsames, kindgerecht erzähltes Portrait der Zirkusfamilie entstanden. Meist folgt die Kamera Santino, der zu Beginn und zum Schluss das Publikum in einem fröhlichen Zum Inhalt: Voiceover direkt anspricht, in den Film einführt und die Erzählung beschließt. Die ebenfalls im Voiceover vorgetragenen Erinnerungen von Opa Ehe sind durch liebevolle, bunte Zum Inhalt: Animationen illustriert. So wird Vergangenes manifest und für ein junges Publikum greifbar. Immer wieder tauchen animierte Effekte auch im Realfilm auf und lassen den Zauber des Zirkuslebens aufscheinen. Die filmische Gegenwart zeigt den Alltag der Zirkusfamilie sensibel und zurückhaltend, dokumentiert private Momente genauso wie die Arbeitsrealität zwischen den Vorstellungen und die mitreißende Dynamik der Darbietungen im Zirkuszelt. Musikalisch untermalt werden die Bilder durch energetische Orchestermusik (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik).

Zusammenhalt, Verantwortungsbewusstsein und Liebe

Santino befindet sich in einer Umbruchphase. Noch spielt er Verstecken mit seinem Bruder, aber gleichzeitig beginnt er, sich innerhalb der Familie neu zu positionieren. Als Teil der nächsten Generation versucht er herauszufinden, welche Talente er besitzt und was er dem Publikum präsentieren möchte. Denn das macht Opa Ehe klar: Alle Familienmitglieder müssen Verantwortung für den Zirkus und seine Zukunft übernehmen. Genauso wichtig ist es jedoch, so Opa Ehe, die Arbeit mit Liebe zu verrichten und stolz darauf zu sein. Dass dieses Wertesystem funktioniert, zeigt der Film eindringlich. Der Zusammenhalt, die Liebe im Familienverband und die Identifikation mit der gemeinsamen Arbeit sind deutlich spürbar. Doch auch die herausfordernden Seiten des Zirkuslebens werden dargestellt. Die Arbeit ist oft hart und gefährlich, die Tage sind lang, die Schulbildung der Kinder bleibt lückenhaft und Freundschaften zu pflegen, ist kaum möglich. Wenn Santino in eine neue Klasse kommt und sich vorstellt, gerät er in eine zwiespältige Situation. Einerseits berichtet er mit Stolz aus seinem Leben, andererseits ist er immer das Zirkuskind, immer anders als die anderen Kinder. Bis heute wird "reisenden Menschen" mit Vorurteilen begegnet, werden sie stereotypisiert und ausgegrenzt. Auch deshalb hält Opa Ehe die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus lebendig, in der viele Familienmitglieder im Holocaust ermordet wurden – ehrlich, aber mit Rücksicht auf kindliche Perspektiven vermittelt.

Kritische Themen wie die Fragen nach dem Kindeswohl in einer patriarchalisch geprägten Welt, in der alle arbeiten müssen, deutet der Film nur an – ebenso die Problematik des Tierschutzes. Auch die teilweise sexualisierte und exotisierte Kostümierung der Frauen, die klischeehafte Rollenbilder bedient, bleibt unkommentiert. Interessant ist dabei der subtile Blick auf die Spannung zwischen einem auf traditionelle Männlichkeit und Stärke ausgelegten Rollenverständnis und der großen Zärtlichkeit des Miteinanders. Am Ende bleibt vor allem diese liebevolle Wärme, die den Zirkusalltag prägt und die Botschaft sendet: Zu Hause ist da, wo die Familie ihre Zelte aufschlägt.

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