Im
Hollywood des Jahres 1926 brummt die Stummfilmproduktion. Von Mexiko nach Los Angeles immigriert, will der junge Manny Torres unbedingt ein Teil der schillernden Filmwelt sein. Auch die wilde Nelly LaRoy träumt vom Reichtum und Ruhm eines Stars. Beide verbuchen schnelle Erfolge: Manny profiliert sich als findiger Problemlöser auf Filmsets, Nelly wird mit ihrer ersten kleinen Rolle bekannt. Weitere Stars der Zeit sind der etablierte Schauspieler Jack Conrad oder die offen lesbische Sängerin und
Zwischentitel-Autorin Lady Fay Zhu. Gegen Ende des turbulenten Jahrzehnts läutet die Tonfilmtechnik einen epochalen Umbruch ein. Dem Jazz-Trompeter Sidney Palmer eröffnen die neuen "Talkies" reich entlohnte Auftritte in Musikfilmen, was ihn allerdings mit dem Rassismus in Hollywood konfrontiert. Für die
Stummfilm-Ikone Jack Conrad beginnt ein tragischer Abstieg. Und LaRoys Ausschweifungen in den "Roaring Twenties" werden zum Imageproblem, während der anpassungsfähige Manny in der Hierarchie aufsteigt.
Babylon ist eine überbordende Hommage an die Magie des Kinos und zugleich eine schallende Kritik an der Filmindustrie, die hier als inhumaner Sündenpfuhl erscheint. Die episodische Haupthandlung des dreistündigen Films reicht von 1926 bis 1932 und bezieht sich lose auf den mehrfach neu
adaptierten Klassiker
Ein Stern geht auf (
A Star Is Born, R: William A. Wellman, USA 1937). Der
Drehbuchautor und Regisseur Damien Chazelle (
La La Land, USA/HK 2016) zeigt das junge Hollywood, bevor dort 1934 der Hays Code, ein System der Selbstzensur, eingeführt wurde, der fortan "unsittliche"
Filmszenen unterband. Die freizügigen Partys und Orgien der Filmleute sind im Film entsprechend exzessiv bis grotesk, die Stimmung am Set mitunter hitzig, wobei es auch Tote und Verletzte gibt. Wie im zitierten Musical
Du sollst mein Glücksstern sein (
Singin' in the Rain, R: Stanley Donen, Gene Kelly, USA 1952) oder in
The Artist (R: Michel Hazanavicius, F/BE/USA 2011) beeinflusst der Paradigmenwechsel vom Stumm- zum Tonfilm ganze Karrieren und natürlich das Kinoerlebnis selbst. Letzterem und der Filmkunst als solcher erweist Chazelle viele postmoderne Referenzen, indem er auf das Medium und zentrale (auch eigene) Werke der Filmgeschichte anspielt. Inszenatorisch ist das ironische Sittenbild mit aufwendigen
Plansequenzen, einer akribischen
Montage oder dem dynamischen
Score raffiniert umgesetzt.
Im medienkundlichen Unterricht stößt
Babylon eine Auseinandersetzung mit der Filmproduktion in der dargestellten Zeit und darüber hinaus an. Ein guter Ansatzpunkt ist die abschließende Collage, die von den Texttafeln der Stummfilmära bis hin zu den
digitalen Effekten der Gegenwart Wendepunkte der Kinogeschichte markiert. Die Zitate und Referenzen regen ein Gespräch über die Selbstbezüglichkeit von Kunstwerken an, das ähnliche Filme wie
Die amerikanische Nacht (
La nuit américaine, R: François Truffaut, F/I 1973) einbeziehen kann. Anhand prägnanter Szenen aus
Babylon lässt sich die Arbeit einzelner Filmgewerke nachvollziehen, wenn etwa ein Orchester einen Dreh live begleitet oder die Filmcrew mit den Herausforderungen einer Tonaufnahme kämpft. Inhaltlich ist die Kritik am Hollywood-System relevant, die sich etwa in einer perfiden Variante des Blackfacings oder einem Fingerzeig auf Harvey Weinstein äußert. Eine Analyse der fünf Hauptfiguren, die frei an realen Vorbildern angelehnt sind, kann Stereotypen der damaligen Kinoepoche herausarbeiten. Als Neulinge am Set sind Nelly und vor allem Manny, dessen sehnsüchtige Blicke ebenso Nelly wie dem Kino gelten, wesentliche Identifikationsfiguren.
Autor/in: Christian Horn, 18.01.2023
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