1917: In einem Dorf im heutigen Senegal, der damals als Teil von "Französisch-Westafrika" galt, führt Bakary Diallo ein zufriedenes Leben als Familienvater und Rinderhirte. Der große Krieg in Europa scheint weit weg – bis eines Tages Häscher der französischen Kolonialmacht die Gegend nach jungen Männern für den Fronteinsatz durchkämmen. Als sein Sohn Thierno zwangsrekrutiert wird, folgt ihm Bakary in die Armee. So landen Vater und Sohn bei einer Einheit afrikanischer Soldaten auf dem
Schlachtfeld von Verdun. Angesichts des apokalyptischen Stellungskriegs versucht Bakary mit aller Macht, sich und Thierno zu retten. Doch fern der Heimat, mit nur wenig Geld und ohne die Landessprache zu sprechen, stößt er immer wieder an seine Grenzen. So erlebt der Vater, wie sein Sohn, der in der Schule Französisch lernen musste und sich für die anerkennenden Worte des jungen weißen Leutnants Chambreau empfänglich zeigt, sich zusehends mit seiner Aufgabe als Soldat identifiziert. Und nachdem Thierno schließlich zum Korporal ernannt wird, erklärt er sich sogar zu einem Himmelfahrtskommando unter Chambreaus Führung bereit.
1917 (Sam Mendes, USA/GB 2019) und
Im Westen nichts Neues (Edward Berger, DE/USA/GB 2022) sind nur zwei Beispiele für aktuelle Filme über den Ersten Weltkrieg. Schwarze Soldaten spielten in ihnen bislang jedoch kaum eine Rolle. Diese Leerstelle füllt nun Mathieu Vadepieds
Mein Sohn, der Soldat (FR/SN 2022). Der mit dem französischen Topstar Omar Sy (Eric Toledano, Olivier Nakache,
Ziemlich beste Freunde, FR 2011) prominent besetzte Film konzentriert sich ganz auf die Perspektive von Bakary und Thierno, die von einer
agilen Schulterkamera aus der Nähe begleitet werden. Während beide anfangs in ihrer Heimat von einer
weiten Landschaft und von
hellen warmen Farben umgeben sind, betont die
Inszenierung des Kriegsschauplatzes die Ausweglosigkeit ihrer Lage: Die
Bildkompositionen bieten kaum Ausblicke, die an historische Autochrome erinnernde Farbigkeit wird vom Grau-Blau
der Uniformen dominiert. Der Fokus liegt auf der Vater-Sohn-Beziehung, die sich vor allem in
Alltagsszenen hinter der Front entwickelt. Die wachsende Distanz zwischen ihnen vermittelt sich auch auf sprachlicher Ebene: Während Bakary (fast) ausschließlich das westafrikanische Fulfulde spricht, kommuniziert sein Sohn zusehends auf Französisch.
Neben der Hauptsprache Fulfulde sind in
Mein Sohn, der Soldat weitere afrikanische Sprachen zu hören. Mit dieser Vielsprachigkeit betont der Film, dass der Erste Weltkrieg längst nicht nur Europäer/-innen betroffen hat. Im Fach Geschichte sollte zunächst die Historie der "tirailleurs sénégalais", der westafrikanischen Soldaten in der französischen Armee, recherchiert werden. Welche Folgen hatte die Rekrutierung für die betroffenen kolonisierten Regionen? Neben den beiden Protagonisten äußern im Film weitere "tirailleurs" ihre Sicht auf den Krieg, auf Frankreich und ihre Heimat. Welches Bild von Europa und Afrika vermitteln sie? Im Sprachunterricht bietet sich eine Figurenanalyse von Bakary und Thierno an. Mit Leutnant Chambreau und dessen Vater, dem General, entwirft der Film eine gegensätzliche Vater-Sohn-Beziehung, die sich vergleichen lässt. Was verrät die Darstellung über die Ethnien und Gesellschaften, denen die Figuren jeweils angehören? Interessant ist die Frage, ob der Film mit der gewählten Erzählperspektive auch einen eigenen filmästhetischen Ansatz für das
Kriegsfilmgenre verfolgt: Verzichtet der Film auf fragwürdige Schau- und Erlebniswerte? Welche Wirkung entfalten die Kampfszenen – und mit welchen visuellen und akustischen Mitteln werden sie erzeugt?
Autor/in: Jörn Hetebrügge, 01.11.2023
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