Kategorie: Interview
"Ich möchte von Frauen erzählen, die stark sind im Patriarchat."
Justine Bauer, Regisseurin von "Milch ins Feuer," möchte für Frauen starke Rollen schreiben und ein authentisches Bild vom Landleben zeichnen. Im Interview erklärt sie, warum ihr das wichtig ist.

Justine Bauer wuchs auf einer Straußenfarm in Baden-Württemberg auf. Sie studierte Bildende Kunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und danach Spielfilmregie und Drehbuch an der Kunsthochschule für Medien Köln. Zum Filmarchiv: "Milch ins Feuer" (2024) ist ihr Debütfilm.
kinofenster.de: In Ihrem Regiestatement sagen Sie, Schreiben helfe, um Gefühle, auch Wut zu verarbeiten. Was hat Sie beim Schreiben des Drehbuchs zu "Milch ins Feuer" angetrieben?
Justine Bauer: Es gab so lange wenig gute Rollen für Frauen – weder in Filmen noch in der Gesellschaft. Wie Frauen in Filmen oft dargestellt sind oder eben gar nicht erst erzählt werden, hat mich oft verärgert. Deshalb möchte ich sie sichtbar machen. Ich möchte von Frauen erzählen, die stark sind im Patriarchat. Männliche Perspektiven interessieren mich weniger. Die habe ich schon oft gesehen, die dürfen gerne Männer selbst erzählen. Daher hoffe ich natürlich, dass immer mehr Frauen – egal in welcher Position – Filme machen. Als Bäuerinnen-Tochter, die als einer der wenigen auf einer Kunsthochschule war, hat mich zudem negativ überrascht, wie auf das Landleben herabgeschaut wird, besonders auch von sogenannten Intellektuellen. Diese Vorurteile gibt es allerdings auf beiden Seiten. Der Umgang mit Natur und Klimawandel und der Rechtsruck machen mich natürlich auch wütend. Eigentlich ist alles ein bisschen verarbeitet im Film, man kommt sich ja sonst so schrecklich nutzlos vor.
kinofenster.de: Inwiefern nutzlos?
Justine Bauer: Zu beobachten, ohne reagieren zu können, das hat ja wieder mit der Wut zu tun. Und dann zu hoffen, dass Kunst nicht nur Selbsttherapie ist, sondern vielleicht doch irgendwas zum Besseren verändern kann.
kinofenster.de: Sie sind selbst im ländlichen Raum aufgewachsen und verbringen dort immer noch Zeit. Was verbinden Sie mit dem Leben auf dem Land?
Justine Bauer: Platz haben, viel draußen sein, mehr von den Jahreszeiten erleben, nachts die Sterne sehen, die Tiere und Familie. Außerdem ist es ein wichtiger Teil meines Schreibprozesses, immer wieder vom Tisch aufzustehen und draußen was mit meinen Händen zu arbeiten. Dabei fallen mir die besten Dinge ein. Draußen arbeiten ist mein "unter der Dusche kommen mir die besten Ideen."
kinofenster.de: Der Film zeigt viele Alltagssituationen. Welche Aspekte des Landlebens wollten Sie besonders hervorheben?
Justine Bauer: Mir ging es um die arbeitenden Frauen, natürlich aber auch um die Verbundenheit zum Boden und der Natur, ohne dass darin etwas Rechtes, Patriotisches liegt; es ist vielmehr eine Verbindung, die beiden Seiten hilft. Aber ich wollte auch zeigen, wie nahe Leben und Tod beieinander liegen – und auch das Höfesterben war mir ein wichtiges Anliegen.
kinofenster.de: In filmästhetischer Hinsicht – welchen Ansatz haben Sie verfolgt, um über das Landleben zu erzählen?
Justine Bauer: Es war mir und uns auf jeden Fall wichtig, die Landschaft nicht zu majestätisch darzustellen, auch wenn sie natürlich sehr schön ist. Der Fokus sollte auf den Darstellerinnen liegen. Mir ging es weniger darum, einen wirklichen Ort bis ins kleinste Detail zu zeigen. Es gibt zum Beispiel gar nicht den üblichen Hof, das Haus der Familie. Das wird nicht gezeigt. Ich wollte ein bisschen unspezifischer bleiben und damit die Geschichte universeller erzählen. Deshalb ist der Film in 4:3 (Glossar: Zum Inhalt: Bildformate), um nicht diese großartigen Landschaftsaufnahmen im Fokus zu haben. Außerdem gibt es in den meisten Filmen über die Landwirtschaft die Geburt eines Kalbes. Bei uns gibt es die Kastration eines Lamas. Das kam mir bislang weniger erzählt vor – und passt auch mehr zum erzählten Sommer.
kinofenster.de: Inwiefern passt das besser?
Justine Bauer: Anna ist 17 und schwanger und hat auch als Erzählstimme (Glossar: Zum Inhalt: Voiceover) des Films eine bestimmte Faszination für Kastrationen entwickelt. Vermutlich sind Kastrationen für sie eine Metapher dafür, dass ein bisschen weniger – toxische – Männlichkeit nicht schaden könnte. Aber das ist nur meine Vermutung, da will ich mich selbst nicht festlegen (Augenzwinkern). Der Sommer ist auf jeden Fall einer voller Freundinnenschaft.
kinofenster.de: Warum war es Ihnen wichtig, im Hohenlohischen Dialekt zu drehen?
Justine Bauer: Der spezifische Dialekt und Hohenlohe waren für mich gar nicht so zentral. Ich wollte vielmehr anhand eines Beispiels, das mir sehr vertraut ist, nämlich anhand meines Mutterdialekts und der Gegend, in der ich groß geworden bin, eine Geschichte vom Aufwachsen von jungen Frauen auf dem Land im Gesamten erzählen. Dialekt war für mich deshalb wichtig, weil ich beobachte, wie Dialekte verschwinden. Es braucht nur eine Generation, die sie nicht mehr spricht. Wie sich über Dialekte lustig gemacht wird, wie sie abtrainiert werden, gerade so, als ob es nur ein Deutsch geben darf, das gesprochen werden soll. Dabei sind Akzente und Dialekte, egal von wo, doch sowohl schön als auch natürlich.
kinofenster.de: Sie haben für Ihren Film überwiegend Laiendarstellerinnen gecastet. Warum und welche Herausforderungen hat das mit sich gebracht?
Justine Bauer: Für mich war das wichtig für die Authentizität. Zum Beispiel spielt meine eigene Oma auch die Oma im Film, weil ich beim Casting keine Oma finden konnte, die so spielte, wie ich mir die Oma im Zum Inhalt: Drehbuch vorgestellt habe. Erst spät habe ich erkannt, dass die Rolle eigentlich immer nur für meine Oma geschrieben war. Außerdem ging es um den Dialekt. Und da ich so einen großartigen Cast gefunden habe wie Karolin und ihre Schwestern, aber auch Pauline, muss ich sagen, dass die Arbeit mit ihnen sich gar nicht so herausfordernd, sondern sehr natürlich angefühlt hat.
kinofenster.de: Aus Ihrer Sicht: Warum ist Filmbildung wichtig?
Justine Bauer: Filme und die Auseinandersetzung damit eröffnen Einsichten in Welten, die man sonst vielleicht nicht mitdenken würde. Diese kann man dann durch besondere ästhetische Herangehensweisen erleben und dadurch auch weniger vergessen.